Kaldenkirchen: Scheinriesen gibt’s doch

Faszinierend wirken die Werke des Holländers Scholte und des Deutschen Hildebrandt. Großer Andrang herrscht bei der Vernissage in der Kaldenkirchener Galerie.

Kaldenkirchen. Es gibt ihn also doch, den sagenhaften Scheinriesen: Je näher er kommt, desto kleiner wirkt er, je mehr er sich entfernt, desto größer scheint er. Dieser Scheinriesen-Effekt prägt eine einzigartige Ausstellung, in der Illusion und Sein ebenso durcheinander geraten wie Wirklichkeit und Schein: "Durcheinander" heißt treffend die Schau mit Werken des Niederländers Rob Scholte und des Deutschen Volker Hildebrandt, zu sehen in der Galerie Petra Nostheide-Eycke.

Bedrohung beherrscht den Raum: Der Verbrecher Dieter Degowski bohrt seiner Geisel Silke Bischoff den Pistolenlauf in den Hals. Großformatig grell, schaurig schwarz-weiß wirkt es noch beängstigender, das berühmte Fotodokument des Geiseldramas von Gladbeck, just 20Jahre her.

Wenn du der Faszination des Bösen nicht widerstehst, dich dem Bild näherst, gerätst du in einen tänzelnden Taumel: Volker Hildebrandts Werk besteht aus tausenden Tupfern schwarzer und weißer Farbe - prickelnde Pixel, die erst aus der Distanz zum Dokument der Dekadenz werden. Wie Hildebrandts Kruzifix, das du erst mit andächtigem Abstand als gefolterten Gottessohn erkennst.

Krasser Kontrast gegenüber im großen Saal der Galerie: Der riesige Regenbogen, vom Künstler gebeugt und gerade gestreckt, lässt seine verlaufenden Farben schrill schillern. Hin zum tänzelnden Getümmel bunter Begeisterung! Ernüchternd wirkt dann der Blick aus der Nähe: Die prachtvolle Palette entpuppt sich als schlichte Schlange vieler Filzstifte.

Auch Scholte spielt mit dem erfrischenden Effekt wechselnder Wirkungen: Glitzernde Glasmurmeln wirken von weitem wie leuchtende Lava. Zwei Künstler von Weltruf, ein Genie - möchte man meinen: "Manchmal kann man sich nur wundern: Was ist von wem?", schmunzelt bei der Vernissage am Sonntagmorgen Rick Vercauteren, Direktor des Venloer Museums van Bommel van Damm.

Beide variieren zufällig etwa Leonardo da Vinci: Hildebrandt pixelt mit dem Pinsel die Mona Lisa, Scholte webt mit Wolle das Abendmahl. Beide zeigen - auf je ihre eigene Art - Lippen und Münder, die dich von weitem locken und von nahem als Schlünde schocken: Scheinriesen-Effekt eben.

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