Kempen „Einflussnahme ist bei uns tabu“

Die muslimische Gemeinde in Kempen steht wie viele andere in Deutschland unter dem Dach des türkischen Ditib-Verbandes. An diesem gibt es derzeit Kritik, weil er unter dem Einfluss der Staatsregierung stehen soll.

Kempen: „Einflussnahme ist bei uns tabu“
Foto: Kurt Lübke

Kempen. Akzeptanz, Respekt und Toleranz — diese Leitgedanken prägen das Wirken von Ilhan Avci. Unter anderem deshalb wurde der Kempener in diesem Jahr von den Grünen für seine Arbeit als Dialogbeauftragter der muslimischen Gemeinde mit dem „Steckenpferd“ ausgezeichnet. Seit vielen Jahren wirbt Avci für die Toleranz unter den Religionen und arbeitet an vielen Stellen in Kempen daran — unter anderem im Arbeitskreis Multi-kulturelles Forum.

Trotzdem müssen sich Avci und die anderen rund 60 Gemeindemitglieder in Kempen derzeit mit Kritik auseinandersetzen. Denn wie viele andere Gemeinden in Deutschland gehört auch die Kempener Gemeinschaft dem türkischen Dachverband Ditib an. Viele Kritiker monieren, dass dieser Verband von der staatlich-türkischen Religionsgemeinschaft gesteuert wird. Ditib entsendet aktuell rund 900 Geistliche nach Deutschland — auch nach Kempen. Kritik gibt es derzeit deshalb, weil Ditib unter der Kontrolle des türkischen umstrittenen Staatspräsidenten Recep Erdogan und dessen Partei AKP stehen soll.

Die Debatte um Ditib geht in NRW soweit, dass zum Beispiel Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Innenminister Ralf Jäger (SPD) vom Verband als Partner in den Verhandlungen um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft abgerückt sind. Die Düsseldorfer Staatskanzlei hatte sogar angekündigt, sie werde die Organisation auf „Staatsnähe“ zur Türkei überprüfen lassen.

Ilhan Avci kennt diese Debatten, nimmt sie aber in Kempen nicht wahr: „Wir werden damit nicht sonderlich konfrontiert“, so Avci. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Kempen und den anderen kirchlichen Gemeinden funktioniere weiterhin reibungslos. „Grundsätzlich stehen die Vertreter unserer Gemeinde für offene Diskussionen — auch zum Thema Ditib“, sagt der Dialogbeauftragte.

Ilhan Avci, Dialogbeauftragter der Ditib-muslimischen Gemeinde

Aus Sicht der Kempener Gemeindevertreter übt die türkische Regierung über Ditib keinen Druck auf die Gemeinden in Deutschland aus. „Ich habe noch nie einen Brief oder einen Anruf aus Ankara bekommen“, sagt Avci. „Wir sind autonom und stehen nicht unter dem Einfluss der türkischen Regierung.“ Innerhalb der Kempener Gemeinde spielten politische Debatten kaum eine Rolle. „Bei uns geht es in erster Linie um Gott und Moral sowie das Leben und Wirken des Propheten“, sagt Ilhan Avci. „Politische Einflussnahme ist in unserer Gemeinde verpönt und absolut tabu.“

Im Gespräch mit der WZ macht der Dialogbeauftragte deutlich, dass die Kempener Gemeinde auf die Kooperation mit dem Dachverband Ditib angewiesen ist. „Es gibt in Deutschland definitiv keine muslimischen Geistlichen, die uns zur Verfügung stehen. Und das wird auch noch viele Jahre so bleiben“, sagt Ilhan Avci, der daher froh über die Zusammenarbeit mit Ditib sei: „Dadurch sind wir sicher, gut ausgebildete Geistliche zu bekommen — und eben keine Scharlatane.“ Die Arbeit eines Imams sei für eine muslimische Gemeinde unerlässlich. „In der katholischen oder evangelischen Gemeinde können Propst Eicker oder Pfarrer Gallach auch nicht durch Laien oder Religionslehrer ersetzt werden“, sagt Avci, der selbst als Notfallseelsorger arbeitet. Damit ist er der einzige Muslime, der diese Position im Kreis Viersen ausführt.

Die Finanzierung der Kempener Gemeinde läuft nach Angaben von Ilhan Avci „ausschließlich über private Spenden“. Diese kämen auch von Deutschen. Dabei arbeite die Gemeinde stets vertrauensvoll mit den Spendern und der deutschen Gesetzgebung zusammen. „Es handelt sich um einem beim Amtsgericht eingetragenen Verein, dessen Satzung die deutsche Verfassung achtet“, so der Dialogbeauftragte. Auch im finanziellen Bereich handele die Gemeinschaft autonom vom türkischen Staat: „Wir sind absolut unabhängig.“

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