Kempen „Bei der Engerstraße wäre es anders gelaufen“

Die Neubaupläne für die Ecke Ellenstraße/Hessenwall in Kempen stoßen vor allem bei Einzelhändlern auf Kritik. Die Rollende Redaktion der WZ hat gestern aber auch Pro-Stimmen gesammelt.

Kempen: „Bei der Engerstraße wäre es anders gelaufen“
Foto: Friedhelm Reimann

Kempen. Die ganze Ellenstraße ist auf der Palme. Dieser Eindruck drängte sich zumindest gestern beim WZ-Mobil auf. An der Rollenden Redaktion, die an die Ecke zum Buttermarkt gekommen war, ging es gestern Vormittag um die bereits von der Politik abgesegneten Pläne für einen Neubau an der Ecke Ellenstraße/Hessenwall. Sie sehen vor, den Komplex mit dem ehemaligen Geschäft Heitzer abzureißen und einen Neubau zu errichten. Der Knackpunkt: Es geht um reinen Wohnungsbau, Geschäftsräume sind nicht geplant.

Kempen: „Bei der Engerstraße wäre es anders gelaufen“
Foto: Friedhelm Reimann

Was bedeutet das für die Ellenstraße? Für Angelika Jarren ist eindeutig eine negative Entwicklung zu erkennen: „Ich finde es sehr bedauerlich, was da passiert“, sagt die Betreiberin des Elektrofachgeschäfts Electra an der Ellenstraße 15. „Das wird Signalcharakter haben.“ Die Einzelhändler haben ihr zufolge bereits heute das Problem, dass Passanten am Bärenbrunnen umdrehen und wieder Kurs auf Buttermarkt und Peterstraße nehmen.

Auch Alp Ismail bedauert die Entscheidung: „Das ist echt schade für die Ellenstraße. Sie braucht Geschäfte“, sagt der Betreiber der Pizzeria in der Von-Broich-Passage, also ebenfalls im diskutierten „unteren“ Bereich der Ellenstraße.

Auch Wilhelm Josef Heinen ist zum WZ-Mobil gekommen, selbst jahrzehntelang Geschäftsmann an der Ellenstraße und Initiator des Kunstzentrums Kempen. Künstler haben leerstehende Geschäftsräume in und an der Von-Broich-Passage in Ateliers und Verkaufsräume für ihre Werke verwandelt. Den Bauherren könne er aus kaufmännischer Sicht verstehen, so Heinen.

Sein Ärger gilt der Verwaltung im nahen Rathaus: „Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Besonders unverschämt finde ich, dass die Stadt den Bürger und den Werbering bei den Diskussionen im Vorfeld außen vor gelassen hat.“ Die Verwaltung solle sich bloß nicht einbilden, dass sie die Gestalterin der Innenstadt sei. „Das sind nämlich die Anwohner, Einzelhändler und Gastronomen“, betont der Kempener, der an der Ellenstraße 37 aufgewachsen ist. Für die derzeitige Marienkäfer-Deko über den Köpfen der Passanten zeichnet er verantwortlich.

Sowohl Heinen als auch Geschäftsfrau Angelika Jarren vertreten die Meinung, dass die Sache anders ausgegangen wäre, wenn es sich um die Engerstraße gehandelt hätte. „Dann wäre niemand auf die Idee gekommen.“ Dem schließt sich Peter Roßlenbroich an, der frühere „Treppchen“-Wirt. „In den 90er Jahren sei die Welt an der Ellenstraße noch in Ordnung gewesen“, seufzt er.

Doch nicht alle Kempener haben etwas gegen die Umgestaltung der Ecke Ellenstraße/Hessenwall. „Wohnungen finde ich nicht schlecht, vor allem, wenn sie bezahlbar sind“, sagt Ulrich Nieten. „Ich bin für Wohnungen, Geschäfte haben wir in Kempen schon reichlich“, sagt eine Kempenerin, die anonym bleiben möchte. Die untere Ellenstraße sei ohnehin „marode“.

Marianne Urban schlägt einen Kompromiss vor: „Unten Geschäfte, oben Wohnungen — das wäre ideal.“ Gut wäre ihrer Ansicht nach ein Anbieter für Obst und Gemüse — oder für Lebensmittel überhaupt.

„Schöne Geschäfte“ in einem Neubau an der Ellenstraße wünscht sich Eva Stachelhaus — zum Beispiel einen Dessous-Laden. „Bäckereien gibt es in Kempen schon genug“, betont sie. Ihre Tochter Petra Stachelhaus, die an der Moosgasse eine Friseurgeschäft hat, befürchtet: „Die Ellenstraße wird durch einen Neubau ohne Ladenlokale noch toter.“ Sie wünscht sich kleine Einzelhandelsgeschäfte dorthin, die gut zum Kempener Flair passen.

Eduard Schulz lobt das Kunstzentrum Kempen: „Die Ausstellung in den leerstehenden Ladenkolalen sieht schön aus.“ Aus seiner Sicht ist ein Neubau an dieser Stelle nicht notwendig. Das sieht ein weiterer Kempener, der namentlich nicht genannt werden möchte, ganz ähnlich: „Der Kempener Bau-Boom kann so nicht weitergehen, hier wird ja alles zugebaut.“

„Es ist ziemlich tot hier“, sagt Wolfgang Becker beim Blick auf Teile der Ellenstraße. Mehr Leben könne man nur über neue Ladenlokale mit interessanten Geschäften hierher bekommen. Schade sei, dass sich die Ansiedlung von Sport Borgmann zerschlagen habe: „Ein solches Geschäft fehlt in Kempen.“

Das sieht Marion Breuer-te Heesen, die an der Ellenstraße 38 das Geschäft „decoration!“ betreibt, ganz ähnlich. Sie klagt über die weiter wachsende Zahl der Leerstände: „Der Laden nebenan steht schon seit vier Jahren leer. Die Videothek gegenüber ist jetzt auch raus.“ Dabei kämen die vielen Besucher nur nach Kempen, weil es hier so viele inhabergeführte Geschäfte gebe. Das gehe immer mehr verloren. Bedenklich findet sie, dass der Investor für den Neubau darauf keine Rücksicht nehme.

Dies alles bestätige sie in ihrer Entscheidung, mit ihrem Laden an die Kuhstraße zu ziehen: In wenigen Monaten, am 31. August, kehrt sie der Ellenstraße den Rücken. Der Räumungsverkauft hat schon begonnen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort