Häusliche Gewalt im Kreis nimmt zu

Die Zahl der Übergriffe im häuslichen Umfeld ist deutlich gestiegen: Im Jahr 2005 gab es weniger als 250 Fälle, 2015 waren es schon mehr als 300. Eine neue Ausstellung in Lobberich macht auf das Thema aufmerksam.

Kreis Viersen. Jede vierte Frau wird einmal in ihrem Leben zum Opfer von Gewalt in einer Beziehung: durch Schläge, sexuelle Übergriffe, Beleidigungen oder andere Demütigungen. Im Kreis Viersen ist die Zahl der Übergriffe im häuslichen Umfeld deutlich gestiegen: Im Jahr 2005 gab es weniger als 250 Fälle, 2015 waren es schon mehr als 300. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 341 Strafanzeigen, in denen es um häusliche Gewalt ging. 147 Mal verwies sie die Täter der Wohnung. Mehr als 55 Frauen suchten mit ihren Kindern Obdach im Viersener Frauenhaus, rund 300 Frauen suchen jährlich Hilfe bei der Beratungsstelle.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, sagt Gabriele Cuylen, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Viersen: „Die Dunkelziffer ist hoch.“ Ein Grund für das Bündnis „Runde Tisch gegen häusliche Gewalt im Kreis Viersen“, das Thema mit einer neuen Ausstellung unter dem Titel „Auf der Schwelle: Leben im Frauenhaus“ in den Blick der Öffentlichkeit zu holen.

Landrat Andreas Coenen (CDU) setzt auf Netzwerkarbeit, um die Opfer von häuslicher Gewalt zu unterstützen. Ein solches Netzwerk ist der „Runde Tisch“, zu dem rund 70 Institutionen und Einrichtungen im Kreis gehören: Neben Vertretern von Polizei, Amtsgericht und Staatsanwaltschaft sind es Ärzte, Krankenhäuser, Beratungsstellen der Kinderschutzbund, die Kirchen und Gleichstellungsstellen. „Mit seinen Aktionen will der ,Runde Tisch’ aufklären, wachrütteln und Mut machen“, erklärte Schirmherr Coenen. Ein Datum für Aktionen ist der 25. November, der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen.

Armin Schönfelder, Erster Beigeordneter

Die neue Foto-Ausstellung in der Werner-Jaeger-Halle in Lobberich bietet einen seltenen Blick in den Alltag im Schutzraum Frauenhaus. Bewohnerinnen werden in ausgelassener Stimmung ebenso gezeigt wie nachdenklich, weinend, allein. Fotografin Brigitte Kraemer zeigt in 35 Bildern alle Lebensbereiche des Frauenhauses, dazu gibt es fünf Schwarz-Weiß-Porträts von Frauen, die ihre Lebensgeschichte erzählen.

„Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Schichten: Täter sind Ärzte ebenso wie Arbeiter“, sagt Cuylen. Gleiches gilt auch für die Opfer. Oft ertragen sie über viele Jahre psychische und physische Gewalt. „Oft gibt es einen auslösenden Moment, an dem eine Frau sagt: ,Ich kann es nicht mehr ertragen’“, schildert die Gleichstellungsbeauftragte. Ein Beispiel: Eine 70-jährige Frau fand den Weg aus der Gewaltspirale, nachdem sie Jahrzehnte darin gefangen war. Warum grade die Werner-Jaeger-Halle ein passender Ausstellungsort ist, erläuterte Nettetals Erster Beigeordneter Armin Schönfelder bei der Eröffnung: „Die Werner-Jaeger-Halle öffnet gern ihre Türen für sensible Themen.“ Er verweist auf die Aufführung von Ferdinand von Schirachs vieldiskutiertem Stück „Terror“ oder die Ausstellung „Kunst gegen Gewalt“, die vor zwei Jahren dort zu sehen war.

Für Cuylen ist es wichtig, häusliche Gewalt immer wieder zu thematisieren und in den Fokus der Öffentlichkeit zu holen. „So werden vielleicht auch Nachbarn oder Freunde sensibel und hellhörig und greifen ein“, hofft die Gleichsteillungsbeauftragte. Denn oft schaffen es die Opfer nicht allein, sich selbst zu befreien. Zu groß seien die Furcht vor der Zukunft, vor finanziellen Problemen. Um alle Aspekte des Themas abzubilden, umfasst die Ausstellung auch Hintergrundinformationen zu Auslösern von Gewalt, zu Täter- und Opferrollen.

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