Wülfrath: 270 Menschen verlieren den Job

Die neu gegründete tedrive Steering Systems GmbH übernimmt ab 1. April die Produktion, doch die Belegschaft wird um fast die Hälfte reduziert.

Wülfrath. Nach zehn Minuten ist alles gesagt, ist die Betriebsversammlung des Insolvenzverwalters beendet. 270 Menschen verlieren bei tedrive ihren Job. Mit 325 Mitarbeitern soll die Lenkungsproduktion an der Henry-Ford II.-Straße fortgeführt werden.

Ab dem 1. April 2010 soll die neu gegründete tedrive Steering Systems (die WZ berichtete exklusiv) die Geschäfte übernehmen. Geschäftsführer werden Reiner Greiss, der schon zu Visteon-Zeiten Chef des Wülfrather Automobilzulieferers war, und Thomas Brüse, der aktuell das Unternehmen leitet.

Unwirkliche Szenen spielten sich am Dienstag vor dem provisorischen Werkstor ab. Ein privater Sicherheitsdienst hat den Werksschutz am Samstag übernommen. Zwei Mitarbeiter stehen uniformiert an einer Blechhütte. Drei, vier Schritte davor ehemalige Werksschützer - in Zivil. Eine Kollegin kommt zur Arbeit, holt ihren Hausausweis heraus. "Uns musst Du den nicht mehr zeigen", sagt Micky Birkenstock.

Es ist kurz nach halb neun. Die Betriebsversammlung ist bereits vorbei. Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier war nicht einmal dabei. Er überlässt es einer Kollegin aus seiner Kanzlei, Ruth Rigol, die spärlichen Informationen zu überbringen. Die Akustik ist schlecht, die Lautsprecheranlage leise. Alle hören daher angestrengt zu. Unmutsbekundungen bleiben aus. Dann beginnen in kleinen Gruppen die Gespräche, die über die Zukunft entscheiden: Wer geht, wer bleibt?

"Wir wissen ja schon Bescheid", sagt ein Werksschützer. 14 der 15 Kollegen sind am Samstag beurlaubt worden. "Heute gibt’s nur noch die Papiere." Der erste, der sie erhält: Stadtbrandmeister René Rahner. "Und das nach mehr als 29 Jahren im Werk", sagt er. Eine Abfindung gibt es nicht. Ihm wie den anderen 269, die in dieser Woche von ihrer Entlassung erfahren werden, wird der Eintritt in eine Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft angeboten - zwölf Monate bei 80 Prozent des letzten Gehalts. Dies war eine Kernforderung des Betriebsrats.

Auf den Betriebsrat und auch die Gewerkschaft ist an diesem Morgen aber dennoch keiner gut zu sprechen. "Die reine Verarsche", "Der Betriebsrat hat gekungelt", sind noch harmlose Kommentare. Ex-Werksschützer Karsten Bauer hat seine Entscheidung getroffen: "Ich trete heute noch aus der IG Metall aus." Sagt’s, drückt die Zigarette aus, geht ins Werk. Sein Entlassungsgespräch steht an.

Insolvenzverwalter Andreas Ringstmeier

Betriebsratsvorsitzender Ahmed Yildiz "kann den Frust der Mitarbeiter verstehen". Aber der Betriebsrat habe die Situation nicht zu verantworten: "Wir haben über Monate gekämpft. Es stand doch auch eine Komplettschließung im Raum", gibt Yildiz zu bedenken. Die Gespräche, die jetzt zu führen sind, beschreibt er als sehr schwer. "Das macht uns auch platt."

15 Monate hat das Insolvenzverfahren gedauert. Es waren komplizierte Verhandlungen. Am Ende mussten fast zwei Dutzend Vertragswerke, die zur sogenannten übertragenden Sanierung des Geschäftsbetriebs notwendig waren, formuliert und unterschrieben werden "Alle notwendigen Verträge sind seit Wochenbeginn unterzeichnet.

Die Sicherung von 325 Arbeitsplätzen hat von allen Beteiligten im Verfahren angesichts der Krise der Autoindustrie viel Geduld, viel guten Willen und Kompromissbereitschaft gefordert", lässt Ringstmeier erklären. Die grundlegende Sanierung des Geschäftsbetriebs sei "alternativlos". Um die Existenz des Betriebs sicherstellen zu können, seien "einschneidende Maßnahmen" erforderlich gewesen.

An diesem Tag mit schlechten Nachrichten für viele Menschen blickt Thomas Brüse nach vorn. "Gemeinsam mit allen Beteiligten im Verfahren haben wir die neue Gesellschaft so strukturiert, dass wir unter den neuen Rahmenbedingungen in der Automobilindustrie wettbewerbsfähig sind und profitabel arbeiten können" sagt er. "tedrive bleibt eine feste Größe bei Lenkgetrieben - das Unternehmen verfügt über einen guten operativen Kern mit wettbewerbsfähigen Technologien, die uns zurück auf ein tragfähiges Geschäftsmodell heben."

Zuletzt aber waren die Aufträge deutlich zurückgegangen. Ein Drittel weniger Arbeit seien in der Produktion angefallen. Dem trägt man nicht nur mit fast einer Halbierung der Belegschaft Rechnung. Drei Fertigungshallen sollen aufgegeben werden (die WZ berichtete exklusiv). Die neue Gesellschaft will alle Abteilungen auf einer Straßenseite der Henry-Ford II.-Straße konzentrieren. Ein neuer Haupteingang - zurzeit mit Flatterband versperrt - ist schon angelegt.

Es ist kurz nach halb zehn. Zwei Männer kommen schweigend aus dem Werk. Winken ab. "Es ist alles gesagt. Sch..."

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