Wenn der Narr den König in Schach hält

Volker Bruns und seine Mitstreiter von „kultconcept“ haben ein neues Schachspiel mit zusätzlichen Figuren und 100 Feldern erfunden.

Wülfrath. Darüber kann ich gar nicht lachen: Da springt dieser Narr über meinen Läufer hinweg, schlägt in eine andere Richtung einen Haken und damit meinen Turm. Das musste wirklich nicht sein. Nicht in diesem frühen Stadium des Spiels. Es ist aber auch eine Herausforderung, den Überblick zu behalten — bei diesem Spielfeld. „Nein, einfach ist das nicht“, sagt Volker Bruns und schmunzelt. Er fühlt sich auf dem neuen Brett längst zuhause. Kein Wunder: Der Wülfrather hat Satem-Schach erfunden.

Neue Figuren und 100 Felder: Satem ist Schach in einer neuen Dimension, ohne an der Grundidee zu rütteln. „Wir wollten das alte Schach reformieren, erweitern, aber es in seiner Würde bewahren“, sagt der 48-Jährige. Mit Verena Kürschner, Daniel Diekmann und Peter Kinder hat er an seiner Vision gearbeitet, sie verfeinert und das neue Regelwerk notariell gesichert. Spielbretter sind geordert, die Figuren bestellt. Erste Prototypen sind eingetroffen. Im Frühjahr 2011 soll die Vermarktung offiziell gestartet werden. Die WZ bat Volker Bruns schon einmal ans Brett — eine Lektion in Demut, aber mit einem hohen Spaßfaktor und neuem Nervenkitzel in einem alten Spiel.

„Jede Partie ist gespielt. Schach bietet keine Überraschungen mehr“, sagt Bruns. Jedes Spiel sei schablonenartig, „weshalb heute viele Schachpartien Remis enden. Schach ist an seine Grenzen gestoßen“. Computer hätten inzwischen die Vormachtstellung. Immer wieder hätten Tüftler Varianten entwickelt. „Märchenschach bezeichnet man das, was dabei herumgekommen ist. Ernsthafte Schachspieler können damit nichts anfangen“, so Bruns. Ihm schwebte, als er sich zum ersten Mal mit der Idee befasste, was anders vor: „eine Renaissance der Schönheit, der Faszination und der Logik dieses großartigen Spiels“.

Beim Lesen von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ hat es beim passionierten Schachspieler „klick“ gemacht. „Man müsste das Spiel erweitern.“ Diese These hat er wörtlich genommen, indem er neue Figuren integriert hat: den Kardinal und den Narr. Durch diese Erweiterung gibt es auf dem Brett nun 100 statt 64 Felder.

Bruns betont, dass das neue Schachspiel auf den Grundideen des klassischen Schachs basiert, „es ist eine logisch aufgebaute Erweiterung“. Auch bei Satem — das ist Sanskrit (Altindisch) und bedeutet 100 — sind König und Dame die Schwergewichte unter den Figuren. Doch Kardinal und Narr folgen in der Hierarchie und sind in der Grundaufstellung neben König und Dame positioniert. Der Kardinal kann lange Wege gehen, um im letzten Schritt seitlich zu ziehen: wie eine Mischung aus Läufer und Turm. Der Narr hat was von Springer und Bauer und birgt besondere Gefahren.

Bruns und sein Team setzen auf Wertigkeit — bei der Spielidee und beim Spielmaterial. „Das sind keine Figuren von der Stange“, versichert Volker Bruns. Sie werden zurzeit in Polen gefertigt. Die Beispiele, die er jetzt schon zeigen kann, lassen ihn strahlen. Vorsichtig fährt er mit dem Zeigefinger über den Kopf der schwarzen Dame, weist auf eine kleine Delle hin: „Alles von Hand gefertigt.“

Eine schöne Dame. Sie ist später entscheidend, als Bruns mich matt setzt — mit Damen und Läufer. Kardinal und Narr hatten bis dahin ganze Arbeit geleistet.

Ein spannendes Spiel. Wirklich königlich. Wie gemacht für den Weihnachtsgeschenketisch 2011.

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