Tönisheide: Friedensstifter am Gartenzaun

Seit 20 Jahren ist Ulrich Leis als Schiedsmann tätig. Meist wird er bei Nachbarschafts- Streitigkeiten eingeschaltet.

Tönisheide. Meist sind es Kleinigkeiten, die zum großen Streit führen: Der Baum, dessen Laub in Nachbars Garten landet, der Zaun, der zu hoch ist oder nicht exakt auf der Grenze steht, die laute Musik, die dem Menschen nebenan die Ruhe raubt.

Bevor in solchen Fällen - juristisch Bagatellen - der Gang zu den ohnehin überlasteten Gerichten eingeschlagen wird, kann häufig der Schiedsmann oder die Schiedsfrau schlichten.

"Rund Dreiviertel meiner Fälle sind Nachbarschafts-Streitigkeiten", sagt Ulrich Leis, einer von acht Schiedspersonen in Velbert, die versuchen, Konflikte auf gütlichem Wege zu klären.

Der 57-jährige Lehrer für Mathematik und Pädagogik, bereits seit 20 Jahren im Amt, nennt gleich mehrere Gründe, warum er sich erstmals 1990 auf eine Ausschreibung der Stadt Velbert bewarb: Neben dem ursprünglichen Wunsch, Jura zu studieren und der Absicht, sich ehrenamtlich zu engagieren, standen die beruflichen Kenntnisse: "Pädagogik beschäftigt sich ja auch mit dem Umgang von Menschen im Konfliktfall."

Leis nennt ein typisches Beispiel: "Wer Bäume oder Büsche pflanzt, muss bestimmte Abstände zum Nachbargrundstück einhalten - oder sich mit seinem Nachbarn auf geringere Abstände einigen." Es gehe im Schlichtungsverfahren darum, herauszufinden, was jeder Kontrahent wolle und schließlich einen Vergleich zu finden, mit dem beide leben können.

Oft sind es Kleinigkeiten, die sich über Jahre hochschaukeln, so die Erfahrung des Tönisheiders. Beim Termin in seinem Haus lässt er die Streithähne zunächst einmal reden: "Die werfen sich oft all das an den Kopf, was sich über lange Zeit aufgestaut hat."

Ist der Dampf erst mal abgelassen, fällt eine für beide tragbare Vereinbarung meist nicht mehr schwer. Notfalls trifft man sich ein weiteres Mal, oder Leis verschafft sich in einem Ortstermin einen Eindruck. Gern erinnert sich Leis an zwei Nachbarn, die einander vorwarfen, jeweils zur Unzeit zu grillen. Der Streit endete mit einem gemeinsamen Grillfest, zu dem auch der Schiedsmann auf ein Glas Bier vorbeischaute: "Solche Konfliktlösungen wirken in den meisten Fällen nachhaltig, weil es keinen Gewinner oder Verlierer gibt."

Ganz anders, wenn ein Streit vor Gericht endet: Dann werde, falls auch der Richter keine Einigung erzielt, nach Gesetzeslage entschieden - was nicht selten der Startschuss für die nächste Streitrunde ist, wenn etwa der Unterlegene Revanche sucht.

Einigen sich die Parteien - was Leis in 95 Prozent seiner Fälle gelungen ist - wird das vertraglich festgehalten. Juristisch ist diese Vereinbarung bindend, vollstreckbar und auch einklagbar wie ein Gerichtsbeschluss. Und billiger allemal: Maximal 50 Euro fallen bei der gütlichen Einigung an, die sich die Kontrahenten meist teilen.

Zwischen 20 und 30 Verfahren pro Jahr hat Leis in den vergangenen Jahren bearbeitet: "Bei einem Kollegen in Velbert waren es aber auch schon über 80." In letzter Zeit ist die Zahl auf rund ein Dutzend gesunken: "Die Leute sind nicht friedlicher geworden, im Gegenteil: Sie gehen heute eher zu einem Anwalt", sagt Leis. Er bedauert, dass die Rechtsschutzversicherungen zwar die Kosten eines Prozesses, aber nicht für das günstigere Schiedsverfahren übernehmen.

Als einer der ersten Lehrer in NRW hat Leis übrigens Streitschlichter am Velberter Geschwister-Scholl-Gymnasium ausgebildet, das damit eine Vorreiterrolle übernahm. Heute sind Schüler als Mediatoren an fast jeder Schule zu finden.

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