Ratingen: Planspiel - Einigung im Morgengrauen

Erstmals erprobten Ratinger Schüler am Wochenende die hohe Kunst der großen Politik. Eine ganze Nacht lang rangen sie im Rahmen eines Planspiels um Macht, Kompromisse und passende Worte.

Ratingen. Es ist 3.45 Uhr. Zeit für Christina Vonnahme, ihre Fraktion zur Eile aufzurufen: "Wir haben noch zwei Tagesordnungspunkte auf der Liste", mahnt sie. Doch es dauert fast anderthalb weitere Stunden, bis aus den Verhandlungsräumen das erlösende Signal kommt: Die Einigung ist geschafft, der Koalitionsvertrag steht. 14 Politiker am Runden Tisch atmen auf. Dunkle Ringe unter den Augen und in den Kaffeebechern zeugen von einer langen, anstrengenden Nacht. Jetzt nur noch heil die Pressekonferenz überstehen, dann dürfen sie ins endlich Bett - und wieder Schüler sein.

Am frühen Samstagmorgen ging in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule ein Planspiel zu Ende, das 14 Oberstufenschüler mehr als elf Stunden lang gefesselt hat. Die Ausgangssituation: Die Spitzen der beiden fiktiven Koalitionsparteien SDU (Sozialdemokratische Union) und CDP (Christlich Demokratische Partei) treten am Abend ihres Wahlsieges zusammen, um sich auf die Grundzüge einer Koalitionsvereinbarung zu verständigen.

Zum Feiern bleibt ihnen nur wenig Zeit, schließlich will die Öffentlichkeit schnellstens wissen, welchen politischen Kurs sie in Zukunft erwarten kann. Einzige Voraussetzung ist für beide Seiten der Wählerauftrag, den sie schwarz auf weiß vorliegen haben. Und die so trügerisch einfach klingende Aufgabe: "Schnüren Sie ein Sozialpaket für Deutschland".

Ralph Horstkötter, Sozialwissenschaftslehrer und Erfinder des Planspiels, ist hoch zufrieden damit, wie sich das Geschehen entwickelt hat. "Die Parteien haben zuerst Expertengruppen gebildet, weil es so umfangreiche Politikfelder zu bearbeiten gab." So informierten sich die einen über über Bildungspolitik, während die anderen am Steuersystem tüftelten und die dritten über das soziale Netz nachdachten. Zwischendurch traten die Koalitionäre immer am Runden Tisch zusammen und versuchten, ihre Pläne durchzudrücken.

"Die längste Debatte gab es darum, wie sich Arbeitslosengeld I und II neu strukturieren lassen können", erinnert sich Horstkötter. Das Ergebnis war der kleinste gemeinsame Nenner: Gekürzt werden soll nur die Bezugsdauer von ALG I. Bei der Steuerreform blieben die Verhandlungen fruchtlos. Die Fronten verhärteten sich so sehr, bis nichts mehr ging. Immerhin beim Schulsy-stem gab es greifbare Ergebnisse: Die Grundschulzeit wurde auf sechs Jahre ausgeweitet, das dreigliedrige System durchlässiger gemacht und mehr in die Lehrerfortbildung investiert.

Am Ende stand nicht nur die Erkenntnis, dass Politik ein zähes Geschäft ist - und der Kampf um Macht und Wählergunst oft wichtiger als die Sache selbst. "Auch die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten wurden gefördert", meint Horstkötter. Das hat er spätestens bei der Pressekonferenz im Morgengrauen erlebt, bei der er selbst die tückischen Reporterfragen stellte. Die Probe-Politiker gaben sich ganz professionell - und verkauften die mickrigen Verhandlungsergebnisse als großen Fortschritt für das Land.

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