Ratingen: Eine Fahrt in die Unterwelt

An der Straße Am Ostbahnhof frisst sich eine riesige Tunnelbohrmaschine durch den Boden – für den Bypass zum Schwarzbach.

Ratingen. Berndt Gädtke friert nie bei der Arbeit. Gut 25 Grad herrschen um ihn herum, meistens aber noch mehr. Die Luft ist feucht-schwül und stickig. Das Atmen fällt anfangs schwer, dichte Staubschwaden kratzen im Hals. Konzentriert bedient Gädtke verschiedene Hebel und drückt auf Schalter: Schwere Elektromotoren dröhnen, kreischend und schmatzend frisst sich der Bohrkopf in die braune Wand, die sich direkt vor dem Vorarbeiter auftut.

Auf einem Monitor überwacht er die richtige Richtung. Scheinwerfer lassen die nasse Stein- und Erdmasse lehmig glänzen, von der der Bohrer wie ein gieriges Nagetier Schicht um Schicht abträgt.

Bernd Gädtke sitzt an der Spitze der fast 30 Meter langen Tunnelbohrmaschine, die sich zurzeit in knapp sechs Metern Tiefe vom Ende der Poststraße bis zum Ostbahnhof vorwärts arbeitet. Über ihm fahren Busse und Autos, hier unten ist davon nichts zu spüren.

Seit Jahresbeginn wühlt sich die gigantische Maschine Meter um Meter unterirdisch durchs Gestein. In den ausgefrästen Tunnel werden gigantische Betonrohre eingesetzt - sie bilden den großen Entwässerungskanal, der von der Poststraße bis zum Schwarzbach verlaufen wird und künftig Hochwasser in der Innenstadt vermeiden soll.

Bis dahin muss Bernd Gädtke noch viele Stunden unter Tage verbringen. Fünf bis sechs Meter Vortrieb pro Tag schafft das Ungetüm. Fast zehn Stunden verbringt der Mann in beklemmender Enge, mit Lärm und Staub, zwischen dicken Stahlwänden und einem unüberschaubaren Gewirr aus Schläuchen, Leitungen und Hebeln. Frische Luft wird aus armdicken Rohren nach unten gepumpt. Und damit kein Wasser aus dem Bohrloch eindringt, wird die Bohrmaschine unter Überdruck gesetzt.

Alle paar Minuten verebbt der Lärm der Motoren und des Bohrers, dann kehrt kurz Ruhe ein und die Staubwolke verzieht sich langsam: Das abgefräste Erdreich hat sich hinter dem Förderband in einer Lore aufgetürmt, die muss jetzt nach draußen: Stahlseil einklinken, Druckluftschleuse öffnen, Piep-Signal geben.

Augenblicke später rumpelt die etwa vier Meter lange Stahlwanne auf Schienen den Tunnel zurück nach draußen in den Einstiegschacht. Ein Kran hievt die Lore mit der schlammigen Ladung empor und leert sie. Zurück im Schacht wird sie wieder in den Tunnel gezogen für die nächste Füllung.

"Wegen des Gesteins und der Leitungen müssen wir eine leichte S-Kurve fahren", sagt Gädtke. Sorgen macht den Tunnelgräbern ein 30-Zentimeter-Wasserrohr, das in der Straße verlegt ist. Sackt plötzlich das Erdreich ab, kann das gusseiserne Rohr brechen. "Dann ist Holland in Not", weiß Gädtke. Außerdem muss ein 1,20 Meter dicker Kanalzulauf unterfahren werden.

Während sich vorne der Bohrkopf in den Untergrund frisst, schieben am anderen Ende der Vortriebmaschine gewaltige Hydraulikstempel riesige Betonrohre in den ausgehöhlten Boden. 1,60 Meter Durchmesser, zwei Meter lang, knapp sieben Tonnen schwer sind die einzelnen Stücke. Millimeterweise werden sie "in den Berg" geschoben. "Wir arbeiten hier mit 200 bar" sagt Baggerfahrer Udo Meine. 200 bar - das Hundertfache eines Autoreifens oder das Gewicht von 200 Kilogramm auf der Fläche eines Fingernagels.

Ist ein Rohrstück wieder fast im Berg verschwunden, werden die Hydraulikstempel zurückgezogen und ein neues Rohr angesetzt - Millimeterarbeit für den Kranfahrer. Alle zwölf Meter kommt ein Spezialrohr an die Reihe - mit seitlichen Löchern. Durch die wird mit Hochdruck Bentonit gepresst, das sich an den Rohraußenwänden verteilt und wie ein Gleitmittel wirkt.

35 Meter Rohre sind schon in Richtung Ostbahnhof gepresst worden, gut eineinhalb Kilometer haben die Arbeiter noch vor sich, bis der ganze Kanal fertig ist.

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