Angeklagt wegen Vorteilsnahme Baudezernent aus Ratingen: Prozess bleibt Wundertüte

Richterin bat überraschend zu einem „Rechtsgespräch“.

Ratingen/Düsseldorf. Der Prozess vor der Großen Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichts bleibt eine Wundertüte: Nicht einmal die Beteiligten wissen immer, was drin ist. So überraschte die Vorsitzende Richterin Bettina Reucher-Hodges gestern die Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit ihrer Bitte um ein „Rechtsgespräch“.

Eine solche, nichtöffentliche Aussprache dient dem Gericht zur Standortbestimmung und soll allen Beteiligten Klarheit über den möglichen Fortgang des Verfahrens verschaffen. Der Baudezernent selbst durfte nicht an dem Gespräch teilnehmen, die entspannte Miene seines Verteidigers Rüdiger Deckers deutete aber darauf hin, dass es für seinen Mandanten weiterhin positiv läuft.

Gerosan-Geschäftsführer sollte als Zeuge vernommen werden

Ursprünglich sollte am gestrigen Verhandlungstag W., Geschäftsführer der Firma Gerosan, vernommen werden. Er hatte 2008 im Haus die Sanitär- und Heizungsinstallationen durchgeführt und in Rechnung gestellt. Später, als der Betrugsskandal im Ratinger Hochbauamt aufflog, an dem der Handwerker maßgeblich beteiligt war, hatte W. behauptet, die Rechnung sei eigentlich viel höher. W. war am 20. August im Prozess um den Betrugsskandal zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Rechnung verlesen und damit als Beweismittel eingebracht

Im Wesentlichen hatte die Staatsanwaltschaft ihre Anklage wegen Vorteilsnahme auf W.s Rechnung gestützt und W. als Belastungszeugen geladen. Die Richterin teilte nach dem Rechtsgespräch jedoch mit, dass W. nicht vernommen werde. Da solche Entscheidungen nur mit Einverständnis aller Prozessbeteiligten getroffen werden, bedeutet das, dass selbst die Staatsanwaltschaft gestern ihren Hauptbelastungszeugen für entbehrlich hielt. Für Prozessbeobachter gibt es dafür vor allem drei Gründe: Die Vernehmung W.s bringt keine neuen Erkenntnisse für das Verfahren. Oder: W. ist nicht glaubwürdig. Oder: W. könnte sich mit seinen Aussagen so sehr selbst belasten und gar seine Bewährung „verspielen“, dass ihm Haft drohen würde — wovor ihn das Gericht schützen wollte.

Die Richterin verlas dafür haarklein die einzelnen Posten und Preise auf der Rechnung W.s vom 3. Dezember 2008 über die Arbeiten im Haus des Angeklagten — beispielsweise: zwei Toilettenschüsseln 700 Euro, zwei Duschwannen 900 Euro, Heizung mit Wärmepumpe und Speicher 11 600 Euro, Solarkollektoren 3150 Euro, Edelstahl-Außenkamin 1125 Euro, Pauschale für Anschlüsse 3350 Euro, und so weiter. Von der Gesamtsumme (38 500 Euro) wurden 25 Prozent Nachlass sowie 2600 Euro für Eigenleistungen abgezogen. Mit Mehrwertsteuer belief sich die Rechnung auf 31 229,45 Euro, was von W. per Kürzel abgezeichnet wurde. Der Prozess geht am 18. September weiter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort