Änderung von Straßennamen: Debatte läuft aus dem Ruder

Anwohner wollen Straßennamen behalten — und verteidigen die Namensgeber. Pfarrer wird beschimpft.

Homberg. Dass es lebhaft werden würde, war klar. Aber wie emotional und teilweise aggressiv dann die Sitzung des Bezirksausschusses Homberg über die Bühne ging, machte manchem Beobachter Bange. Etwa 60 Anwohner der Agnes-Miegel- und Hermann-Stehr-Straße hatten diese Gelegenheit genutzt, um gegen die Umbenennung ihrer Straßen zu protestieren.

Der Protest geriet allerdings zunehmend zu persönlichen Attacken gegen Kulturdezernent Dirk Tratzig. Schon als er einleitend mit einem deklamierten Miegel-Zitat die Argumente der Verwaltung zusammenfasste, hagelte es Zwischenrufe wie „das ist doch mehr als 70 Jahre her“. Tratzig legte dar, das Stehr und Miegel „keineswegs nur kleine Mitläufer waren“, sondern die Ideologie des Nazi-Regimes auch mit „vorangetrieben“ hatten. Er warnte: „Wenn Sie sagen, ,so viel Nazi macht uns nichts’, kann dieses Signal bei Neonazis ganz falsch verstanden werden.“ Gerade die würden sich immer gerne auf Agnes Miegel beziehen.

Ausschussvorsitzende Claudia Luderich musste mehrfach um Ruhe und Fairness bitten — Appelle, die meist ungehört blieben. Stattdessen machten die Anwohner ihrem Ärger Luft, angefeuert durch reichlich Applaus aus den eigenen Reihen: „Das ist doch Korinthenkackerei.“ „Warum gerade jetzt diese Umbenennung?“ „Da gibt es schlimmere Sachen.“ „Niemand kennt die Straße — und ich habe sogar jüdische Freunde.“ „Wenn das die Probleme sind, die wir in Ratingen haben, muss es uns verdammt gut gehen.“ „Hermann Stehr war über 60, als er das geschrieben hat.“ „Die Aktion ist eine Farce, hunderte Leute werden damit belästigt.“ Tratzig wurde auch persönlich angegangen. „Sie pinnen in Münster ab, weil sie nur groß rauskommen wollen“, wurde ihm vorgeworfen, weil sich die Stadt an der Empfehlung einer Kommission in Münster orientiert.

Zudem gab es mehrere Versuche, Agnes Miegel einzig auf ihren Rang als Dichterin zu fokussieren, wofür eifrig Belege von Rechten angeführt wurden — unter anderem von einer Miegel-Expertin, die Vorsitzende einer rechtsextremen, 2008 vom Verfassungsschutz verbotenen Organisation war.

Michael Füsgen, Pfarrer der Kirchengemeinde Homberg, konnte die Emotionen nicht nachvollziehen, „Ich bin stolz auf die Stadt, dass sie sich die Mühe macht, genau hinzuschauen und den unbequemen Weg gehen will. Es ist lobenswert, sich nicht zu ducken und nicht wegzuschauen“, sagte er — und erhielt dafür keinen Applaus. Schlimmer noch: Füsgen wurde anschließend von Anwohnern teilweise massiv beschimpft. Andere drohten Beschwerden bei der Landeskirche und Kirchenaustritte an. „Das war eine Lehrstunde für Demokratie“, sagte Füsgen am Tag danach. Er sei hingegangen, weil er gespürt habe, dass sich das ’was zusammenbraut. Ausschussvorsitzende Claudia Luderich brachte unfreiwillig das Ergebnis der Bürgermeinungen auf den Punkt: „Wir alle haben verstanden, wie sie denken.“

Die Entscheidung über die Umbenennung wurde auf die nächste Sitzung vertagt. CDU und SPD wollen noch einmal beraten, die Bürger-Union sprach sich dagegen aus, die Grünen wollen umbenennen. Gleiches signalisierte auch Hannelore Hanning (FDP) in ihrer guten Stellungnahme: „In Schulen fordern wir doch die jungen Leute dazu auf, bei rechtem Gedankengut sofort Nein zu sagen.“

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