Hier lernen die Schüler ganz nach Lust und Laune

An der Freien Aktiven Schule entscheiden die Schüler selbst, was sie jeden Tag machen wollen. Und sie entscheiden sich erstaunlich oft für das Lernen.

Hier lernen die Schüler ganz nach Lust und Laune
Foto: Carolin Scholz

Wülfrath. Wenn Carolina keine Lust auf Englisch hat, lässt sie es einfach bleiben. Lieber in den Bewegungsraum — toben, klettern, Höhle bauen. Oder sie arbeitet an ihrem eigenen Projekt: Mit ihrer Freundin Liv alle Kulissen aus den Harry-Potter-Filmen nachbauen. Das könnte sie den ganzen Tag machen. Und Mathe und Deutsch Deutsch sein lassen. Macht sie aber nicht. Carolina, Liv und Moritz gehen in die Grundschule der Freien Aktiven Schule Wülfrath (FASW). Dort läuft ein Schultag anders ab, als an gewöhnlichen Schulen. Die Schüler haben keinen Stundenplan, sondern entscheiden selbstständig, was sie wann machen wollen. Es gibt nahezu keinen Frontalunterricht — die Schüler können sich selbst Lernmaterial nehmen, alleine daran arbeiten und — wenn nötig — einen Lehrer um Hilfe bitten.

Auch wenn die drei Viertklässler am liebsten im Bewegungsraum sind, gehen sie heute zuerst in die „Schatzkammer“. Sie ziehen sich in einen der kleineren Nebenräume zurück. Dort lässt es sich ruhig und konzentriert arbeiten. Moritz nimmt sich verschiedene Satzanfänge vor. „Eigentlich mache ich am liebsten Mathe“, sagt er. Aber das hier gehöre eben auch dazu. Liv hat sich zwei Schachteln mit verschiedenen Wörtern geholt. Es geht darum, diese ihren Wortarten zuzuordnen. „Was ist denn ein Numeral?“, fragt sie in die Runde. Moritz und Carolina zucken mit den Schultern. Also geht Liv in den großen Raum und fragt eine Lehrerin. Sie kommt zurück. „Ein Zahlwort.“ Carolina übt währenddessen das große Einmaleins am Rechenschieber.

Wer selbst entscheiden kann, was er lernen und woran er arbeiten will, tut das auch lieber. Das ist das Prinzip der Freien Aktiven Schule. Auch Ehrlichkeit ist eine wichtige Grundlage: Wenn einen etwas nicht interessiert, macht er es eben nicht — einfach gesprochen. Aber führt das nicht dazu, dass bestimmte Dinge gar nicht mehr gemacht werden? „Nein“, sagt Schulleiter Robert Freitag. Denn die Schüler verstehen, dass bestimmte Dinge wichtig sind. Dabei lernen sie aber nicht nur den Schulstoff, sondern sich auch selbst kennen. Was liegt mir besonders? Wann lerne ich am besten? Und wie?

Bei der Auswahl des Stoffs helfen Mentoren. Am Anfang jeder Woche überlegen sie in einem Gespräch mit den Schülern, wie Ziele erreicht und welche Aufgaben und Übungen dafür nötig sind. Was die Schüler dann im Laufe der Woche machen, bleibt ihnen überlassen. Die FASW besuchen aktuell etwa 325 Schüler: 225 die Gesamtschule, 100 die Grundschule. Die Schule ist inklusiv — auch Kinder mit Behinderung sind dabei. Die Schüler können verschiedene Abschlüsse bis hin zum Abitur machen.

Lizzy geht in die achte Klasse. Sie hat sich heute Mathe vorgenommen. In ihrem Lernplan steht Volumenberechnung auf dem Programm. Aber bevor sie sich im Mathe-Raum hinsetzt, wirft sie erst einmal einen Blick auf den Plan, welcher Lehrer heute da ist. Denn in jedem der Räume — ob Mathe, Englisch, Religion und Politik — die zuständigen Lehrer wechseln regelmäßig. „Bei manchen verstehe ich es einfach besser als bei anderen“, sagt die 15-Jährige. Nett findet sie aber eigentlich alle. Sie hat Glück. Heute ist einer ihrer Lieblings-Mathelehrer da.

Und kurz nachdem sie ihre Aufgabe durchgelesen hat, hat sie auch schon eine Frage. Ihr Lehrer setzt sich zu ihr, hat ein paar Quader als Anschauungsmaterial mitgebracht. Das Gespräch, das die beiden führen, ist erstaunlich. Lizzy hat keinerlei Scheu, zu zeigen, was sie an der Aufgabe nicht kann. Ihr Lehrer erkennt im Gegenzug sofort, was sie schon verstanden hat und stellt genau die Fragen, die Lizzy selbst mit der Nasenspitze auf die Lösung ihres Problems stoßen.

In weniger als fünf Minuten hat die Schülerin etwas gelernt — nicht, weil es ihr jemand vorgesagt hat, sondern indem sie wirklich verstanden hat, wie die Aufgabe funktioniert. Ob Lizzy auch mal einen Tag lang gar nichts macht? Sie verneint das. „Wenn ich mal einen schlechten Tag habe, kommt es schon vor, dass ich am Vormittag mal in den Kunstraum gehe und zwei Stunden vor mich hin male.“ Dann finde sie aber meist die Motivation, noch ein bisschen Mathe oder andere Fächer zu erledigen.

Auch bei den drei Grundschülern darf nach erster getaner Arbeit ein bisschen Pause sein. Nach Einmaleins, Satzanfängen und Wortarten — eine Lehrerin hat die Ergebnisse kontrolliert und im Lernheft abgehakt — geht es für die drei in den Bewegungsraum. Fangen spielen im Kletterturm.

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