Als die Amerikaner anrückten

Am 16. April war der Krieg in der Kalkstadt vorbei. Aus den Fenstern wehten improvisierte weiße Fahnen.

Als die Amerikaner anrückten
Foto: Simone Bahrmann

Es war ein schöner Tag, der mit morgendlichem Dunst begonnen hatte. Bei wenig Wolken kletterten die Temperaturen während der Mittagszeit bis über die 15-Grad-Grenze. Es war frühlingshaft warm, auch deswegen, weil kaum ein Wind ging. Die Stadt bot einen fast friedfertigen Anblick, über ihr lag eine gespannte Ruhe. Aus den Fenstern hingen improvisierte weiße Fahnen — Zeichen für die Kapitulation und das nahende Kriegsende: Wülfrath wartete an diesem 16. April auf die Amerikaner.

Als die Amerikaner anrückten
Foto: Archiv

Am Nachmittag war eine Parlamentärsabordnung mit einem Jeep gekommen und hatte bei der Ortskommandantur verhandelt. Für die deutsche Seite hatte der Leiter der hiesigen Polizeistation gesprochen. Wenn sich die Bevölkerung ruhig verhalte, werde nichts geschehen, hatten die Amerikaner versprochen.

Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, gegen 19 Uhr, war es soweit: Über den Silberberg aus Richtung Tönisheide rückten die Amis ein. „Die amerikanischen Truppen benehmen sich gut“, vermerkt die Chronik der Pfarrgemeinde St. Petrus Canisius. Zwar waren zum Teil Panzersperren aufgebaut, deren Wirkung war allerdings gleich Null.

Vor 70 Jahren:

Die Stunde Null

Den Besatzern wurde es leicht gemacht. „Durch die Bemühung verantwortungsbewusster Männer wurde die Stadt kampflos übergeben“, heißt es in der Chronik der Gemeinde St. Josef. Die Parteigrößen, die bis dahin Verantwortung getragen hatten, hatten sich bereits am Vortag aus dem Staub gemacht. „Teilweise fluchtartig“, sagt Stadtarchivar Hartmut Nolte. Die große Verhaftungswelle blieb aus, wenngleich jeder, der eine Uniform trug, damit rechnen musste, „hopp“ genommen zu werden — sogar der Briefträger. Das traf im Übrigen auch den erwähnten Leiter des Polizeipostens. Er wurde festgenommen, kam erst Jahre später aus der Gefangenschaft wieder.

Die Kämpfe indes hatten ihre Spuren hinterlassen. Eine Häuserzeile an der Goethestraße war dem Erdboden gleich gemacht, auch die katholische Kirche hatten mehrere Treffer abbekommen (siehe Kasten).

In den kommenden Tagen wurde die neue Stadtwache eingesetzt. Sie bestand aus zehn Polen, zehn Russen und 60 Deutschen. „Wahrscheinlich waren sie an einer Armbinde zu erkennen“, sagt Stadtarchivar Nolte. Einen Tag später erschien der neue Stadtkommandant und gab die Verordnungen der Militärverwaltung bekannt. Es gab erste Verhaftungen im Zuge der Entnazifizierung, Menschen (Vertriebene und Flüchtlinge) wurden einquartiert, was durchaus ein großes Platzproblem verursachte. Zudem konnten die Menschen, die aus dem linksrheinischen Raum evakuiert worden waren, wieder nach Hause, wenn es dieses denn überhaupt noch gab.

Unterdessen schloss sich der Ring um das Ruhrgebiet, Ende April verließen die Amerikaner die Stadt, die Briten kamen. Und ließen sich nieder, was das Problem der Einquartierungen noch verschärfte. „Dort, wo Arbeitgebervillen zur Verfügung standen, etwa in Heiligenhaus, beschlagnahmten die Soldaten natürlich diese Gebäude“, sagt Nolte. In Wülfrath bemächtigten sich die neuen Besatzer der Hauptbüros der Kalkwerke, des Parteihauses (heute VHS) und der Schule an der Parkstraße. Zeitweise lebten bis zu 1000 Briten in der Stadt.

Währenddessen schritt die Neuorganisation des Alltags voran. So wurde der Stadtbeirat eingesetzt, eine Art Vorläufergremium des Rates. Die Verwaltungsspitzen wurden ausgetauscht, sprich: die Entnazifizierung „irgendwie“ durchgezogen. So wurden viele Lehrer, deren Nähe zu den Nazis bekannt war, in eine andere Stadt versetzt. „Da hat es regelrechte Rochaden gegeben“, sagt Nolte. Im August 1945 nahm die Volksschule wieder ihren Betrieb auf, im November folgte die höhere Stadtschule.

Schwierigkeiten gab’s jahrelang mit der Ernährung, Mangelerscheinungen waren die logische Folge. Immer wieder kam’s auch zu Zusammenstößen mit ehemaligen Zwangsarbeitern. „Diese Menschen hatte man befreit, dann aber sich selbst überlassen. Wenn sie nichts mehr zu essen hatten, nahmen sie sich etwas“, erklärt der Archivar. Dabei sei es sogar zu Todesfällen gekommen. Ausgerechnet in diese prekäre Situation fiel der harte Winter. Lebensmittel-Portionierung und -kärtchen gab’s — wie überall in Deutschland — bis zur Währungsreform.

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