Große Sprünge gehören Vergangenheit an

Trotz eines Bürgervotums lässt die Stadt den Turm verfallen. Nun soll er abgerissen werden.

Große Sprünge gehören Vergangenheit an
Foto: Stadtarchiv

Monheim. Ganz vorn, an der der Kante, ist der Respekt am größten. Zehn Meter tiefer kräuselt sich die Wasseroberfläche. Nochmals fünf Meter darunter liegen die Kacheln des Sprungbeckens. Hinzu kommt die eigene Körpergröße. „Wenn man oben steht, wirkt es dadurch viel tiefer als zehn Meter“, sagt Klaus Fliescher. Jahrzehntelang hat der Monheimer Sprungtalente trainiert. Nun muss er dabei zusehen, wie die Stadt eine einstige Stärke still zu Grabe trägt. Seit vielen Jahren ungepflegt und nicht gewartet, ist der alte Zehn-Meter-Sprungturm neben dem Mona Mare zu einem vergessenen Ort geworden. Vermutlich Anfang des kommenden Jahres wird die verwitterte Betonkonstruktion mitsamt Sprungbecken darunter geschliffen.

Endgültig vorbei. Dabei trainierten hier einmal Olympia-Teilnehmer, Medaillengewinner und Weltmeisterschaftsaspiranten — im damaligen Terrassenbad Monheim, einem der „schönsten Freibäderd Deutschlands“, wie manch ein Monheimer noch heute schwärmt. „Der genaue Abriss-Zeitpunkt steht noch nicht fest“, sagt Stadtsprecher Norbert Jacobs. Und kommt unvermittelt ins Erzählen. „Zwei Mal bin ich da auch runtergesprungen — in meiner Jugend.“ Einmal gelang sogar ein Köpper. Respekt. Ob da wohl jeweils eine Schöne auf einem Strandtuch in der Nähe saß und genau zusah? Jacobs nickt.

Von der Freibad-Eröffnung 1978 bis zur Schließung 22 Jahre später galt der Sprung vom Zehner als d i e Sommer-Mutprobe. Rein physikalisch betrachtet, ist die mit weich werdenden Knien erklommene Höhe in zirka anderthalb Sekunden Flugzeit wieder egalisiert. Dabei beschleunigt der Körper mindestens auf 50 Stundenkilometer. „Wichtig beim Eintauchen ist die absolute Körperspannung“, sagt Alt-Sprungtrainer Fliescher. Denn bei der Fallhöhe wirkt das scheinbar alles verzeihende Wasser wie eine unerbittliche Betonschicht. Kunstspringer bekommen die Wasseroberfläche per Berieslungsanlage leicht aufgeraut, um den Abstand zur Oberfläche richtig einschätzen zu können.

NorbertJacobs, Stadtsprecher

Monheims aktuelles Sprungtalent, Jaden Eikermann, darf mit seinen acht Jahren noch nicht vom Zehner springen. Dazu müssen Körperbau und Knochenstruktur erst gefestigt sein. Fünf Meter sind derzeit das Maximum für den Jungen, der sehr gerne bei den Olympischen Spielen 2024 starten würde. Weil Monheim seinen Sprungturm trotz eines anderslautenden Bürgervotums aus dem Jahr 2000 (84 Prozent für den Erhalt) verfallen lässt, muss Jaden vier, manchmal fünf Mal pro Woche nach Aachen fahren, um dort zu trainieren. Der Junge steht in einer großen Tradition. Seit Ende der siebziger Jahre haben sich zahlreiche internationale Athleten in Monheim auf Wettkämpfe und Olympische Spiele vorbereitet. Tracy Cox-Smith aus Namibia übte hier vor den Spielen 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona. Eine Silbermedaille gewann sie 1990 bei den Commonwealth- Games vom Drei-Meter-Brett. Der 45-fache Deutsche Meister Albin Killat bereitete sich in Monheim auf die WM-Qualifikation vor. Seit dem Jahr 1978 gab es diverse internationale Jugendwettkämpfe rings um den Monheimer Sprungturm.

Und wird Alt-Sprungtrainer Klaus Fliescher zuschauen, wenn der Turm abgerissen wird? „Nein, das kann ich nicht. Das kann niemand von mir verlangen.“

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