Der Seelsorger am Wickeltisch

Vor zwei Monaten hat sich Pfarrer Hanno Nell eine viermonatige Elternzeit genommen.

Gruiten. Dass der Kinderwagen an diesem Morgen nicht so will, wie Familie Nell es gerne hätte, kann das Oberhaupt der Pfarrersfamilie nicht aus der Ruhe bringen. Cornelia Nell ist später mit dem Auto unterwegs und braucht den Kinderwagen nicht — und Hanno Nell muss weder die nächste Predigt vorbereiten noch Mitarbeitergespräche führen oder in Sachen Seelsorge unterwegs sein.

Seit zwei Monaten befindet sich Pfarrer Hanno Nell in Elternzeit. Sein fünftes Kind, Töchterchen Friederike, gab den Ausschlag für diese Entscheidung. „Ich wollte Zeit für die Kinder haben“, sagt der sympathische 40-Jährige mit der ruhigen Stimme: „Nicht nur für die Kleine, sondern auch für die anderen vier.“ Dabei sei es auch nicht seine Frau gewesen, die ihn um diese Auszeit gebeten hat. „Das war schon meine Idee. Ich hatte den Eindruck, das könnte die letzte Chance sein, meine Kinder näher kennenzulernen“, sagt er.

Seit viereinhalb Jahren ist Pfarrer Nell der Seelsorger der Evangelisch-reformierten Gemeinde in Gruiten. Gegen 65 Bewerber hat er sich damals durchgesetzt. „Ich habe meine Traumstelle bekommen“, sagt er.

Mit seiner Familie wohnt Hanno Nell im historischen Pfarrhaus im Dorf, das eine direkte Verbindung zum Gemeindebüro hat und nur einen Sprung von der Kirche entfernt liegt. „Das Pfarrersein ist ein 24-Stunden-Job. Ich muss immer erreichbar sein“, sagt Nell: „Es tut mir gut, auch einmal durchatmen zu können.“

Die Reaktionen in der Gemeinde auf seine Entscheidung für die vier Monate Elternzeit seien ganz unterschiedlich gewesen. Einige seien bestürzt gewesen — eine Gemeinde ohne Pfarrer? Andere hätten verständnisvoll reagiert. „Ich werde ziemlich in Ruhe gelassen“, sagt Nell.

Die Trennung von der Gemeindearbeit und von Entscheidungen klappe viel besser als er gedacht habe. Auch wenn er zugibt, manchmal schon gerne wissen zu wollen, was das Presbyterium berät. „Aber das werde ich erst in zwei Monaten erfahren“, sagt er und lacht. Weil er sich auf seine Mitarbeiter und Ehrenamtler verlassen kann, ist er sich sicher, im Sommer keine bösen Überraschungen erleben zu müssen.

„Es ist schon gut zu wissen, dass es hier so tolle Menschen gibt“, sagt er. Die Presbyter würden ganze Arbeit leisten. Einen Großteil seiner Arbeit übernehme bis Anfang Juni sein Vorgänger Pastor Peter Gerhardt und Jugendleiterin Wiebke Nauber — etwa die Schulgottesdienste. Zum Juli kommt ein ganz neuer Pfarrer in den Kirchenkreis, Florian Specht.

Familie Nell ermöglicht die Elternzeit eine ganz neue Form des Zusammenlebens. „Ich konnte in der ersten Woche der Osterferien mit meinen Kindern Urlaub machen“, sagt der Geistliche schwärmend. Was sonst unmöglich ist, hat er in diesem Jahr richtig genossen. Mit seinen vier älteren Kindern hat er die Zeit auf Mallorca verbracht. Und seine Frau Cornelia durfte eine Woche in Ruhe mit dem jüngsten Familienzuwachs verbringen.

Zeit findet Pfarrer Hanno Nell auch, um die Gottesdienste befreundeter Pfarrer zu besuchen. Nur eines hat er sich nicht nehmen lassen: die diesjährigen Konfirmationen. „Die Konfirmanden waren mir ans Herz gewachsen“, sagt er. Die wollte er nicht einem anderen Pfarrer überlassen. „Und weil ich sowieso gerade dabei war, habe ich auch noch einen Gottesdienst für kleine Leute gestaltet. Das mache ich immer sehr gerne“, sagt er.

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