Hilden: Einsam in die Verwahrlosung

Aus Angst vor Heimunterbringung lehnen ältere Menschen oftmals die Hilfe der Stadt ab.

Hilden. Als der Schlüsseldienst die Wohnungstür von Margarethe B. (Name von der Redaktion geändert) geöffnet hat, schlägt Sabine Hauck und Jürgen Twistelder Gestank von Kot und Urin entgegen. Umgeben von Fäkalien und Unrat sitzt die Wohnungsinhaberin in einem Sessel.

Die Seniorin hat sich seit Wochen nicht gewaschen. Dazu ist sie gar nicht mehr in der Lage. Die alte Dame ist auf Hilfe angewiesen. Ein Bekannter, der sich - gegen Bezahlung - um die Seniorin kümmern wollte, hat ihr Lebensmittel besorgt. Sonst tat er nichts.

Altersverwahrlosung wird das Schicksal der Seniorin genannt. Und Margarethe B. ist kein Einzelfall. Twistel und Hauck von den Besonderen Sozialen Diensten der Stadt Hilden erreicht fast täglich ein besorgter Anruf, doch einmal bei dieser oder jener Adresse vorbei zu schauen.

200 Fälle pro Jahr sind inzwischen nichts Ungewöhnliches. "Und die Zahlen werden in Zukunft noch drastisch nach oben gehen", ist sich der Fachbereichsleiter angesichts des demografischen Wandels und der zunehmenden Vereinsamung in der Gesellschaft sicher.

Extrem-Fälle wie MargaretheB. sind zwar die Ausnahme, machen aber schon gut ein Viertel des Personenkreises aus, um den sich die Besonderen Sozialen Dienste kümmern (müssen). "Wir gehen jeder Benachrichtigung nach", so Twistel. Manchmal, sagt er, sind auch skrupellose Vermieter dabei, die ihre Wohnung frei bekommen wollen. Aber das ist die Ausnahme. In der Regel ist wirklich Hilfe notwendig.

"Meistens können wir schnell etwas organisieren", sagt Sabine Hauck. Bei einem Viertel der Fälle reicht oftmals schon ein Telefonat. Angehörige, freundliche Nachbarn, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie oder die Nachbarschaftshilfe kümmern sich dann um die Senioren.

Und auch die - falls nötig - Bestellung eines gesetzlichen Betreuers geht in der Regel problemlos über die Bühne. Oftmals können die Senioren dann sogar in ihren Wohnungen bleiben. Nur bei Extrem-Fällen, wenn keine hilfreichen Verwandten oder Freunde gefunden werden, gibt es keine Alternative. "Dann bleibt nur das Heim", so Hauck.

Die Angst vor der Heimunterbringung ist ein wichtiger Grund, dass hilfsbedürftige Senioren nicht von sich aus um Hilfe bitten - sofern sie ihre zunehmende Verwahrlosung überhaupt registrieren. Diese Angst verhindert aber auch, dass den Menschen geholfen werden kann, bevor nur noch die Heimunterbringung als letzter Ausweg bleibt. Den möchten auch die Helfer vermeiden: "Wir wollen möglichst erreichen, dass die Leute zu Hause bleiben können", sagt die Mitarbeiterin der Besonderen Sozialen Dienste.

Dafür sind die Helfer aber auf die Mithilfe der Senioren angewiesen. Das fängt schon bei der Kontaktaufnahme an. Zweimal suchen sie die fragliche Person auf. Wird ihnen nicht geöffnet, folgt eine schriftliche Ankündigung des Besuchs.

Bleibt auch dann eine Reaktion aus, beginnt die Suche nach Personen, die einen Schlüssel zur Wohnung haben. Ist allerdings "Gefahr in Vollzug", wird als letzte Möglichkeit die Polizei eingeschaltet, um die Öffnung der Wohnungstür zu veranlassen.

"Wir sind gut aufgestellt", antwortet Twistel auf die Frage, wie er und seine Mitarbeiterin die seit Jahren kontinuierlich steigenden Fallzahlen bewältigen können. "In zehn Jahren", gibt er aber zu bedenken, "wird die Mitarbeiterzahl erheblich steigen müssen." Dafür ist die Stadt zuständig. Die Kosten der Betreuung gehen hingegen in der Regel zu Lasten der Staatskasse, denn "die wenigsten Betreuten sind so vermögend, dass sie dies selbst bezahlen können", so Twistel.

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