Was sie mit Deutschland verbindet

Menschen aus dem Kreis Mettmann erzählen zum Tag der Einheit, welche besondere Beziehung sie zu Deutschland haben.

Was sie mit Deutschland verbindet
Foto: Fries

Kreis Mettmann „Der Tag der Deutschen Einheit ist ein Geschenk der Geschichte, das wir gar nicht hoch genug schätzen können“, sagt Fritz Ressle. Der 88-jährige Unternehmer aus Hilden gehörte zu den „drei Prozent Westdeutschen“, die schon vor dem Fall der Mauer regelmäßig die DDR besuchten. Weihnachten 1989 war für die Ressles ein besonderes Fest. Fritz Ressle hatte sieben Flüchtlinge aus der DDR aufgenommen. Hinzu kamen drei Gäste aus Großbritannien (der Heimat seiner Frau) plus vier Familienmitglieder. Die Sieben wollten unbedingt nach Bayern. Ressle rief Freunde in seiner alten Heimat an und bat um Hilfe. Dann schenkte er jedem Flüchtling eine Krawatte „fürs Vorstellungsgespräch“. „Es hat geklappt. Alle haben in Bayern Arbeit und eine neue Heimat gefunden. Die Hilfsbereitschaft war einmalig.“

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Foto: ola

2002 versank Sachsen in einer Jahrhundertflut. Hildens Bürger und der Stadtrat halfen, wo sie konnten, überwiesen der sächsischen Kreisstadt Eilenburg mehr als 130 000 Euro Soforthilfe. Auch Fritz Ressle sammelte Spenden für die Opfer der Flutkatastrophe und lieferte sie mit einem Lastwagen persönlich in Schadnitz ab. Dafür wurde er 2003 von Vertretern der Stadt Taucha (Hilden leistete dort Hilfe beim Verwaltungsaufbau) mit der Fluthelfermedaille des Landes Sachsen geehrt. „Wenn man heute Taucha sieht, kann man als Hildener nur neidisch werden“, sagt Fritz Ressle über den gelungenen Aufbau Ost.

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Foto: Achim Blazy

Einer, der erreicht wurde, ist Steffen Lutz Matkowitz. Der gebürtige Leipziger kann das Sächseln auch nach 22 Jahren in Mettmann nicht lassen. Der Kabarettist pendelt oft gen Osten, um dort aufzutreten. „Früher war ich ja verboten“, sagt er und es klingt trotzig, aber auch verwundert. Der Wahl-Mettmanner bekennt sich zu seinen Wurzeln, „obwohl die DDR mir meine Biografie vermasselt hat“. Als Kapitalistenkind, dessen Vater eine Parkettreinigungsfirma besaß, hatte Steffen Lutz Matkowitz im Arbeiter- und Bauernstaat nichts zu lachen. Weder durfte er Abitur machen noch studieren. Seine Protesthaltung mit Beatles-Frisur brachte ihm einen Schulverweis ein. „Als mein Vater das hörte, ist er mit mir in die Schule gegangen und hat dem Direktor vor versammelter Mannschaft entgegen gebrüllt: Wenn dieses Nazi-Schwein noch einmal etwas gegen dich unternimmt, dann unternehme ich etwas.’“ Doch noch vor dem Abschluss kam er auf der Oberschule in Konflikt mit der Stasi. Sein Vergehen: Er hatte im Unterricht eine Gedenkminute eingelegt, als die Unikirche gesprengt wurde. „Sie waren davon überzeugt, dass ich die Idee dazu aus dem Westen hatte.“

Das Jahr 1984 war ein denkwürdiges für den damals 16-jährigen Steffen Wohlrab in Dresden. Denn der Schüler hatte beschlossen, sich am Ende seiner Schulzeit in der Dresdner Luthergemeinde konfirmieren zu lassen. Er war der einzige Konfirmand der Gemeinde in jenem Jahr. Vom Pfarrer hatte er Einzelunterricht erhalten. Im Jahr 1986, da war Steffen schon 18, stellte die gesamte Familie den Ausreiseantrag. Und Eltern und Sohn durften nach drei Jahren „Bearbeitungszeit“ kurz vor der Wende tatsächlich ausreisen. Zunächst landeten sie in Wuppertal. Seit 2003 ist Wohlrab Haaner Bürger. Auch in der Haaner evangelischen Gemeinde ist der gelernte Meister für Sanitär- und Haustechnik angekommen, denn seit 2016 ist er Mitglied im Presbyterium. „Ich bin zwar in Dresden geboren, aber mein Herz schlägt fürs Rheinland“, sagt Wohlrab. Die Freunde in Dresden sieht er regelmäßig einmal im Jahr, mal hier und mal dort. Auf jeden Fall wird auch mal gemeinsam Karneval gefeiert, sagt der Familienvater.

Als die Langenfelder Edelstahlwerke kurz nach der Wende eine Stahlgießerei im sächsischen Pirna als Zweigbetrieb erwerben wollten, da stellte sich die für den Verkauf der ehemaligen volkseigenen Betriebe der DDR gegründete Treuhandanstalt quer. „Dieser Betrieb ist nicht zu retten“, habe ihm die Treuhand damals gesagt, erinnert sich Seniorchef Dieter Schmees (82). Und sie habe mit diesem Argument die zunächst in Aussicht gestellte Anschubfinanzierung verweigert. „Die wollten die Gießerei anderweitig verhökern.“ Aber mit seiner Ehefrau Sigrid sei er sich einig gewesen, dass die damals etwa 60 Mitarbeiter dieser Gießerei „eine Chance verdient“ hätten. Und so nahm Schmees einen Bankkredit auf, erwarb 1992 die Gießerei und baute sie zu einem innovativen Edelstahlwerk aus. Heute werden in Pirna unter anderem Skulpturen von Künstlern wie Jeff Koons oder Tony Cragg gegossen.

Ein namhafter Künstler ist auch der in Ratingen lebende Yildirim Denizli. Für eine Ausstellung zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit im Herbst 2015 hat der Maler und Bildhauer aus der Kofferraumhaube eines VW-Käfers eine riesige Skulptur als Auftragsarbeit für die Schau „Deutschland unter die Haube“ gebaut. Auch Denizlis prägende DDR-Erfahrung hat etwas mit einem Auto zu tun: Er erinnert sich noch sehr genau an die Fahrt zu einer der Dresdener Kunstausstellungen. Der Kunststudent tappte auf DDR-Gebiet prompt in eine Verkehrsfalle und sollte 60 West-Mark Strafe zahlen. „Die habe ich nicht“, beteuerte Denizli damals. Schließlich habe der Polizist sich mit 30 West-Mark zufrieden gegeben, erzählt Denizli. Beschäftigt ihn, den eingewanderten Türken, das Thema DDR noch? Zwangsherrschaften und ihre mörderischen Folgen sind natürlich auch Thema seiner Kunst. Gerade hat er etwas in Arbeit, das er „Selbstschussanlage“ nennt. Die gab es in der DDR von 1971 bis 1984 an der Grenze, damit niemand ‘rübermachte. Wie muss man beschaffen sein, um sich einen solchen Todesautomaten auszudenken zu können, fragt Denizli. Mit Blick auf die vielen Opfer möchte er festhalten: Dass sie es trotz der Gefahr riskiert haben, weil sie so nicht mehr weitermachen, sondern in Freiheit leben wollten, habe etwas mit Würde zu tun. Wozu der Mensch fähig ist, im Guten wie im Schlechten, dafür stehe diese Anlage. cis/cz/mei/hup/gund

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