Hochdahl: „Wir Ärzte sind schon gläsern“

Martin Grauduszus ist Präsident der Freien Ärzteschaft. Er engagiert sich für ein besseres Gesundheitssystem.

Hochdahl. Im Jahr 2031 will Martin Grauduszus in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Dann ist er 72 und vermutlich gibt es gesundheitliche Gründe für seinen Schritt, den er schon mal auf der Internetseite der Freien Ärzteschaft ankündigt. Seit drei Jahren ist Grauduszus deren Präsident und man darf vermuten, dass aus dieser persönlichen Zukunftsprognose mehr als nur der Optimismus spricht, möglichst lange für seine Patienten da zu sein.

"Die gesellschaftliche Entwicklung ist einfach absurd. Dazu gehört auch, dass das Rentenalter immer weiter nach hinten geschoben wird", sagt der Mediziner, der sich neben seiner Praxis auch dem politischen Geschehen rings um den Ärztestand widmet. Den sieht er jedenfalls in Gefahr, wenn am "grünen Tisch" weiterhin Entscheidungen getroffen werden, die weder den Ärzten noch den Patienten helfen.

"Das System ist schon seit Jahren unterfinanziert. Wir kämpfen für den Erhalt der wohnortnahen Versorgung durch Hausärzte und Fachärzte", spricht Grauduszus über die Ziele der Freien Ärzteschaft. Im Klartext heißt das: Seine Praxis könnte es wie auch die meisten anderen Hausarztpraxen bald schon nicht mehr geben.

Denn die Politik favorisiert zentrale Versorgungszentren nach dem Vorbild der ostdeutschen Polikliniken. Den teuren Porsche vor der Haustür und das Haus an der Cote d´Azur: Über dieses Vorurteil zum Lebenswandel von Ärzten kann Grauduszus nur lachen. Im Gegenteil, viele Ärzte arbeiten nah am Burnout.

Nicht wenige selbstständige Existenzen sind durch die Sparpolitik bedroht. "Die Aufmerksamkeit für den Menschen geht verloren. Der Patient wird immer mehr zum Kunden", glaubt Martin Grauduszus. Für ihn sei das ein Grund gewesen, sich politisch einzubringen. Dafür hat er nur Zeit, weil seine Frau in der gemeinsamen Praxis einige seiner Patienten übernommen hat.

Nicht mehr als drei Minuten Zeit für eine Krebsdiagnose? Auch von diesen Zuständen in Krankenhäusern hat der Mediziner gehört. Er selbst kann sich so etwas in seiner Praxis nicht vorstellen. "Ich begleite viele meiner Patienten über Jahre. Dann handelt man so was nicht in ein paar Minuten ab. Ich nehme mir Zeit, aber es wird nicht honoriert", sagt er.

Auch der Trend zum gläsernen Patienten ist ihm ein Dorn im Auge. Deshalb hält er absolut nichts von der Idee, eine elektronische Gesundheitskarte einzuführen. "Wir Ärzte sind schon gläsern, wenn es um Diagnosen der Patienten und Abrechnungen geht. Dabei ist es gefährlich, wenn Daten nicht im geschützten Raum der Praxis bleiben, sondern an Krankenkassen weitergegeben werden müssen".

Rosarot sieht Martin Grauduszus die Zukunft für seinen Berufsstand jedenfalls nicht. Damit sie nicht schwarz wird, engagiert er sich politisch. Auch wenn man dafür vermutlich einen langen Atem und ziemlich viel Idealismus braucht.

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