Der Südpol und der Physiker

Temperaturen bis minus 60 Grad, Gefrierbrand am Ohr, der Verlust eines Weisheitszahns und eine wirklich schöne Bescherung: Benjamin Semburg (26) wird sich sein Leben lang an das Jahr 2007 erinnern.

Haan. Was seine Verlobte Julia wohl davon hält: Benjamin Semburg hat im Moment nur Augen für den Südpol. Auch während der Ferien hockt der Diplom-Physiker mehrere Stunden in seinem Büro an der Uni Wuppertal, um die Satellitenbilder von der Forschungsstation an der Antarktis zu sehen. "Der Kontakt besteht täglich maximal zwölf Stunden", sagt der 26-Jährige. Jede Sekunde davon will er nutzen.

Insgesamt sechs Tage - vom Abflug in Düsseldorf an - war Semburg Ende Oktober unterwegs, um an sein Ziel, die berühmte Amundsen-Scott-Station, zu gelangen. Auf dem Vorposten in Neuseeland ließ er diverse medizinische Checks über sich ergehen; unter anderem musste ihm sein letzter verbliebener Weisheitszahn entfernt werden. Am Südpol gibt es zwar Ärzte, aber keinen Zahnarzt; das heißt: Vorkehrungen treffen. Semburg nahm es gleichmütig hin: "Der hätte ohnehin bald rausgemusst."

Eine Hercules-Maschine brachte Semburg und seine Kollegen von der Uni Wuppertal am 31.Oktober ins ewige Eis. Der Auftrag der Physiker innerhalb des internationalen Teams in der Forschungsstation: im Rahmen des Mammutprojekts "Ice Cube", das ebenfalls auf der Suche nach den Neutrinos ist, die Armada von Computern zu überwachen.

Aber die Natur tat anfangs alles, um den Naturwissenschaftlern den Spaß an der Arbeit zu verleiden. "Während der ersten acht Tage herrschten Temperaturen von bis zu minus 60 Grad, Schneestürme mit Windstärke sechs sorgten dafür, dass die Sicht gegen Null ging. Die Luft war dabei absolut trocken", so Semburg.

Einmal habe er sich gewagt, die Kapuze seiner Polarjacke etwas länger abzunehmen. "Mein Ohr war binnen kürzester Zeit so gut wie abgefroren." Diagnose: Gefrierbrand. Da sich der Südpol auf Grund des Packeises auf 3000Meter Höhe befindet, schlich sich auch noch die unter Bergsteigern bekannte Höhenkrankheit ein. "Zwei Tage lang war ich wie verkatert." Trotz aller Widrigkeiten litt die Gesundheit des jungen Mannes nicht wirklich. Bezeichnenderweise erwischte ihn eine Grippe erst bei seiner Rückkehr nach Deutschland.

Der Frühling in der Antarktis zeigte sich schließlich doch noch von seiner winterzauberhaften Seite: wolkenfreier Himmel und Sonnenschein - und das 24 Stunden am Tag. "Damit kam ich zurecht", erinnert sich Semburg. "Es war nur ungewöhnlich, beim Zähneputzen um halb zwölf abends die Sonne im Rücken zu spüren."

Heimweh nach Hause? Dagegen gibt es ja heutzutage Telefonieren übers Internet mit Webcam. Dennoch sei es ihm dann und wann schwer gefallen, am anderen Ende der Welt zu sein, gibt Benjamin Semburg zu. "Ich bin eben ein Familienmensch."

Lesarten Kaum zu glauben, aber wahr: Die Welt hat zwei Südpole. Der zeremonielle Südpol (auf dem Aufmacherfoto) besteht aus einem Flaggenkreis, in dessen Mitte ein Holzpfahl mit einer Aluminiumkugel aufgestellt ist. Der geografische Südpol wird ebenfalls durch einen Holzpfahl - sowie einem Schild, das an die Südpol-Pioniere Amundsen und Scott erinnert (Foto) - gekennzeichnet. Er wird alljährlich am 1.Dezember umgestellt. Denn auf Grund der Plattentektonik "wandert" das Packeis jedes Jahr mehrere Meter.

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