Für Demenz-Patienten ist der Alltag ein Hindernislauf

Bei einem Parcours können die Absolventen selbst erleben, wie es ist, wenn das Gedächtnis und die Motorik ihre Aussetzer haben.

Für Demenz-Patienten ist der Alltag ein Hindernislauf
Foto: Achim Blazy

Erkrath. „Wir führen gleich keinen Demenztest durch“, unterstreicht Marion Wippermann von der Johanniter-Begegnungsstätte, „sondern wir wollen Ihnen zeigen, welche schwierigen Gefühle Demenzkranke in Alltagssituation möglicherweise empfinden“. 15 Besucher sind am Mittwochvormittag zusammengekommen, um den Demenz-Parcours auszuprobieren.

Im Raum sind vier Stationen aufgebaut. Es sind Holzkästen, sie alle haben zwei Öffnungen für die Hände und die Rückwand fehlt, damit man auf einen Spiegel hinter der Kiste blicken kann. Die Stationen tragen Namen wie „Sternkiste“ oder „Schuhkiste“, in einem ist ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel aufgebaut, in einem anderen steht eine Flasche mit Granulat. Die vier Kisten stellen besondere Anforderungen an die Benutzer, erschwert durch den Blick in den Spiegel — denn die Handlungen sollen spiegelverkehrt ausgeführt werden.

„Es ist überhaupt nicht schlimm, sollten Sie die Aufgaben nicht schaffen“, so Wippermann. Aber: Eine Person soll neben der Kiste stehen und mit ihrer Anwesenheit Druck ausüben, vielleicht auch mal darauf hinweisen, man solle „sich doch bitte mit den Schnürsenkeln beeilen“. Denn diesen Druck können Demenzerkrankte durchaus aus dem Umfeld zu spüren bekommen.

Vor der Schuhkiste versucht Heinz Hoffmann, Schnürsenkel durch die Ösen eines Schuhs zu stecken: „Das ist gemein, sowas“, brummt er. Er hat seine Schwierigkeiten, denn er sieht den Schuh ja nicht bloß spiegelverkehrt, sondern auch von vorne. „Ich bin früher Elektriker gewesen“, erzählt Hoffmann, „und da hatte ich täglich mit Fummelarbeiten zu tun“. Maria Wimmer steht daneben und muss schmunzeln.

Gegenüber beim Brettspiel sind die Besucher in einer Mischung aus Vergnügung und Verzweiflung angekommen. Dort würfeln zwei Spieler und ziehen nach mehreren Anläufen ihre Figuren wackelig Richtung Ziel. Neben ihnen steht Anika Hagedorn vom Erkrather Demenznetzwerk. Was am Spielbrett auffällt: Es ist eine Variante für sechs Spieler, das Brett ist somit sternförmig. Hagedorn klärt auf: „Einerseits ist dieser Grundriss anspruchsvoller als das, mit dem jeder von uns aufwuchs. Andererseits nimmt es Bezug auf die Sternkiste“.

Bei dieser ist es erforderlich, im Spiegelbild einen fünfzackigen Stern nachzuzeichnen. Wohl die schwierigste Prüfung; alle Papierbögen weisen nur gekräuselte Linien auf. Nebenan ist die Frustrationsschwelle ähnlich niedrig, denn ein Löffel möchte akkurat mit Granulat gefüllt und dieses dann in ein Gefäß umgefüllt werden. „Der Schuh ist im Vergleich ja sagenhaft einfach“, staunt Marlene Terfort und muss lachen. Eine fünfte Aufgabe funktioniert ganz ohne Kiste: „Frau Hansen, reichen Sie mir das Telefon“, bittet Marion Wippermann. Frau Hansen reicht ihr eine Karte mit einem Klavier. Hier geht es darum, Begriffe und Bilder, getrennt auf Kärtchen, auswendig zu lernen. Die Mitspieler können nachvollziehen, wie sich Demenzerkrankte bei Wortfindungsstörungen und Bedeutungswechseln fühlen können.

Das Konzept für den Parcours stammt von Monika Wilhelmi, Diplom-Psychologin an der evangelischen Stiftung Tannenhof in Remscheid.

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