US-Musiker trommeln mit Schlagwerk „made in Krefeld“

Seit 2006 werden in Fischeln Schlagzeuge gebaut – Abnehmer sitzen selbst in den USA.

Krefeld. Gegenüber grasen Neuweltkamele und Nandus, die südamerikanischen Straußenvögel. Ein kalter Wind pfeift über Weiden und Gemüsefelder im Süden Krefelds. Christian "Gory" Gorißen hat sich für die Arbeit vorsorglich Funktionsunterwäsche mit langen Beinen angezogen.

Zwar bullern die Heizlüfter in der einstigen Gärtnerei-Halle im Witschen 44, nur einen Steinwurf von der "Torfabrik" entfernt, doch an diesem Novembertag kriegt der Gast in der Produktionsstätte von "Kirchhoff Schlagwerk" alsbald kalte Füße. Die Fünf, die hier arbeiten, sind aber abgehärtet.

Seit 2006 fertigt die kleine Firma südlich der Untergath Schlagzeuge der besonderen Art in Handarbeit, genauer: die Trommeln, die kleinen und die großen. Becken werden nur für die Werbefotos benötigt; sie stammen, wie heute üblich, aus der Türkei.

"Wir verkaufen nur die Trommeln", erklärt der Chef des Unternehmens, Jo Kirchhoff (43/kleines Foto). Der ist eigentlich Bassist, hat aber Fachleute in seiner Belegschaft: Gory Gorißen (39), der bei Planet Five und anderen Formationen die Felle bearbeitet; Klaus Radtke (42), der mit Ranzig rockt;

Frank Ludewig (42), Schlagzeuger, und last not least Kay Finke (31), ebenfalls ein Trommler. Heute nicht im Betrieb ist Carsten Buschmeier (39), ehemaliger Redakteur des Fachblattes "Drum Heads", und - was sonst - Schlagzeuger.

Schlagwerke "made in Krefeld" sind, weil keine Massenware, nicht billig. Unter 1000 Euro geht es nicht, die übliche Bandbreite reicht bis 4000 Euro.

"Wer eine imposante Schießbude mit drei Basstrommeln haben will, darf auch 8000 Euro auf den Tisch legen", grinst Gory Gorissen, und hat gleich einen Kollegen im Sinn, in dessen Maschinerie sich ein anderer Drummer tagelang einarbeiten müsste: Manni van Bohr, der bei der Go-Music-Reihe im Jazzkeller oder auf Deutschland-Tourneen von Randy Hansen (Seattle) zu hören war.

"Kirchhoff Schlagwerk" verkauft im Jahr bis zu 200 Trommel-Sets. Sie sind bei Stefan Raab zu sehen oder werden von der finnischen Band Apocalyptica benutzt, die ihr Land im Song Contest der Eurovision vertreten hat.

Der amerikanische Freelance-Drummer Big T. arbeitet mit Schlagwerk "made in Krefeld", und auch die hübsche Poni von der US-Band The Ettes.

Zum Kundenkreis gehören ferner die H-Blockx aus Münster oder Charly T., Ex-Lord und späterer Drummer von Marius Müller-Westernhagen. Auch Jan Zimmer von Luxuslärm, für die Eins live-Krone nominiert, vertraut den Drums vom Witschen.

Für Italien und Benelux gibt es Vertriebsfirmen, größere Musikinstrumenten-Händler. In England und Skandinavien wird direkt verkauft. Jo und Carsten besorgen den Vertrieb, letzterer betreut auch die Künstler.

Denn: Sie sollen dafür sorgen, dass Schlagzeuge "made in Krefeld" bekannter werden. Geworben wird in den Fachzeitschriften. Neben "Drum Heads" sind das in Deutschland "Sticks" und "Drums & Percussion".

In der Produktionsstätte stehen mehr als 100 Acrylkessel-Rohlinge. Die meisten sind glasklar, aber gelbe, blaue und rote für das poppige Schlagzeug-Set bringen Farbe in die Regale. "Kirchhoff Schlagwerk" baut aber auch Trommeln aus edlen Klanghölzern: Bubinga, Walnuss, Birke, Wenge und Zebrano.

Die Rohlinge werden mit Kreissäge und Tischfräse bearbeitet: Vor allem die Kanten müssen scharf sein. "Das gibt den satten Klang", erläutert Gory Gorißen. Gesägt und gefräst wird mit Schutzmaske, die Routine kam beim "Learning by doing".

Auffällig sind die Kartons aus China: Dort lässt die US-Firma Remo preiswerte Felle in guter Qualität für die Trommeln fertigen. Gory Gorißen: "Die sind nur für die Erstausstattung der Sets. Jeder Drummer zieht sich später sowieso seine eigenen Felle drauf."

Noch arbeitet der 39-Jährige halbtags bei "Kirchhoff Schlagwerk", sein Ziel ist natürlich ein Vollzeitjob. Und auch der Chef des kleinen Unternehmens, dessen Büro an der Moerser Straße gelegen ist, betont eine "bescheidene Lebensführung" und träumt von einem Investor, mit dem das Unternehmen auf breitere Beine gestellt werden kann - zum Beispiel mit einer Halle, die wärmegedämmt ist.

"Wir heizen uns hier arm", sagt Jo Kirchhoff und zeigt an die Decke: Selbstverlegte Plastikfolie hält ein bisschen Wärme im einstigen Gewächshaus. "Bei 10 Grad minus wie im letzten Winter ist es morgens drinnen genauso kalt wie draußen."

Die Schlagzeug-Bauer aus Krefeld möchten natürlich die Produktion steigern: "Wir müssen nach Russland, Ungarn und ins Baltikum reisen." Auch dort wird immer mehr Musik von Hand gemacht. Die Zeit der Computer-Drums - wie anfangs der 90er Jahre - ist vorbei.

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