Rocky Horror Show mit Spaßbremse

Fast hätte Regisseur Frank Matthus seinen tollen Musical-Abend selbst verdorben — mit einem unsäglichen Auftritt als Oberlehrer.

Krefeld. Im Kabinett der Seltsamkeiten hat ausgerechnet der Regisseur den bizarrsten Auftritt. Eine halbe Stunde vor dem Ende seiner „Rocky Horror Show“ betritt Frank Matthus die Bühne und weist einige besonders lebhafte Fans im Publikum zurecht: „Ich muss jetzt mal den Kindergarten ein bisschen beruhigen“, spricht’s in die erstaunte Stille. „Ihr schmeißt uns gerade eine Premiere. Hier stehen Menschen auf der Bühne.“ Anschließend erläutert Matthus die Ruf-Regeln, wir sind schließlich in einem deutschen Theater, und da hat Anarchie hübsch ordentlich abzulaufen.

Dass ein Regisseur im Theater persönlich die Spaßbremse gibt, erlebt man nun wirklich nicht alle Tage. Zumal im Rocky-Knigge des Theaters ausdrücklich steht: „Was Zwischenrufe betrifft: Lassen Sie sich was einfallen!“ Die Stimmung ist nach dem Oberlehrer-Auftritt jedenfalls im Keller, und auch die Schauspieler machen nicht wirklich einen erleichterten Eindruck. Matthias Oelrich etwa, der als Erzähler immer wieder ein „Boring, boring“ (langweilig) über sich ergehen lassen muss, steht seit vier Jahrzehnten auf der Bühne. Da können ein paar Krakeeler ihn sicher nicht aus der Ruhe bringen.

Auch die anderen Darsteller und das Team wussten doch wohl vorher, auf was sie sich eingelassen haben. Entsprechend spielfreudig und überdreht gehen sie ja auch ans Werk, und zwar bis in die Nebenrollen, die Paul Steinbach (Riff-Raff), Helen Wendt (Columbia), Joachim Henschke (Dr. Everett Scott) und die anderen wunderbar schräg ausfüllen.

Klarer Herrscher im Gruselschloss ist jedoch Adrian Linke als Frank’N’Furter, der auf Absätzen tuntig über die Bühne stakst, als habe er nie was anderes gemacht. In ihm vereinigen sich Sexmaschine und Kotzbrocken zu einem überirdischen Wesen. Er ist der umjubelte Star des Abends.

Weniger spektakulär, aber vor allem stimmlich herausragend, ist Felicitas Breest als naive Janet, die ihre Wandlung von der grauen Maus zur Raubkatze optisch wie darstellerisch perfekt vollzieht. Ronny Tomiska ist als Langweiler Brad an ihrer Seite ein bisschen unterfordert, aber für manchen Lacher gut.

Dennoch: So richtig ausgelassen feiert das Publikum erst bei den Zugaben. Vorher ist jene Diskrepanz spürbar, die wohl dazu gehört, wenn man „Rocky Horror“ für Theater-Abonnenten inszeniert.

Da prallen zwei Universen von Verhaltensmustern aufeinander: Während der eine Teil des Publikums Reis und Klopapier schmeißt, bürstet sich der andere pikiert das Konfetti vom Kostümchen. Die Inszenierung will beiden Gruppen gerecht werden und bleibt deshalb brav und vorhersehbar, von ein paar sexuellen Schattenspielen abgesehen.

Das wäre an sich gar nicht besonders schlimm gewesen, denn was Regisseur Matthus an Mut fehlt, gleicht er durch Opulenz aus. Die Bühne und vor allem die Kostüme (beides von Johanna Maria Burkhart) sind ein Fest für die Augen, die Musiker um Willi Haselbek in bester Spiellaune, die Songs des Rocky-Schöpfers Richard O’Brien zeitlos grandios. Es hätte — kurzum — ein richtig runder Musical-Abend werden können, wenn jemand den Regisseur davon abgehalten hätte, auf die Bühne zu stürmen.

Dass Intendant Michael Grosse den unsäglichen Auftritt auf Nachfrage als nötigen Eingriff verteidigt, ehrt ihn, lässt aber für die weiteren Vorstellungen Schlimmes befürchten. Wenn erst Bus-Ladungen von Rocky-Fans nach Krefeld kommen, weht im Saal garantiert ein ganz anderer Wind als bei der recht zivilisierten Premiere. Wer das nicht aushalten kann, sollte lieber „Die lustige Witwe“ zeigen.

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