Helios Klinik Mit Kurvendiskussion gegen den Krebs

An der an die Helios Klinik angegliederten Schule lernen schwer erkrankte Kinder und Jugendliche Deutsch, Mathe, Englisch — und mit der Krankheit umzugehen.

Helios Klinik: Mit Kurvendiskussion gegen den Krebs
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Dursun macht viel Sport, modelt vor der Kamera seiner Schwester, trifft sich mit Freunden, er zeichnet gerne, sein Lieblingsfach in der Schule ist Kunst. Bis vor drei Monaten ist Dursun ein ganz normaler, gesunder 16-Jähriger gewesen. Heute sitzt er an guten Tagen aufrecht im Bett und hört Musik, am liebsten R ’n’ B. An schlechten ist er dafür zu schwach.

Seit die Ärzte im Oktober einen bösartigen Knochentumor in Dursuns Schienbein diagnostiziert haben, zählt für ihn nur noch eins: Er will wieder gesund werden. Und er will sein altes Leben zurück, den Anschluss in der Schule nicht verpassen und gemeinsam mit seinen Mitschülern aus der Jahrgangsstufe 11 der Gesamtschule Kaiserplatz Abitur machen, danach BWL studieren.

Seit Mitte Oktober liegt Dursun zur Behandlung auf der Onkologie-Station im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Helios Klinikums. Zuhause war er seitdem kaum. Für ein bisschen Alltag in der Unsicherheit seines Krankenzimmers sorgt der Unterricht an der ins Klinikum integrierten Christophorusschule, einer städtischen Schule für Kranke in Krefeld, wie es im Titel heißt.

„Die Schulpflicht hört für kranke Kinder und Jugendliche nicht auf“, sagt Schulleiterin Monika Nordmann. Sobald ein Krankenhausaufenthalt vier Wochen oder länger dauert, besuchen Nordmann, Förderschullehrerin Silke Lethen und weitere Kolleginnen die erkrankten Schüler zum Einzelunterricht auf der Station. Zwischen sechs und zehn Kinder und Jugendliche unterrichten sie im Schnitt.

Neben Englisch, Mathe und Deutsch steht auch die Ablenkung von der schweren, manchmal lebensbedrohlichen Krankheit — Leukämie, Hirn- und Knochentumoren oder chronischen Erkrankungen wie Rheuma, Diabetes oder Morbus Crohn — auf dem Lehrplan.

„Unsere Schüler sind mit ihrer Krankheit oft gedanklich komplett ausgelastet“, sagt Silke Lethen. Der emotionale Stress, Angst, vor dem was kommt, aber auch körperlich belastende Behandlungen wie Chemotherapien bringen die jungen Patienten „an ihre Grenzen, was Konzentration und Belastbarkeit angeht“. Die Pädagoginnen wollen den Schülern aber auch den Mut vermitteln, dass sie trotzdem leistungsfähig sind. Eine Stunde Kurvendiskussion sei hier eben nicht nur lästiger Mathestoff, sondern ein Stück Normalität — weit weg vom Alltag mit der Krankheit.

Mit gekreuzten, sehr dünnen Beinen sitzt Dursun auf dem Bett. Seine dichten, schwarzen Haare hat er durch die Chemo verloren. „Das kam einfach so ins Leben“, sagt er über den Krebs, den man ihm jetzt auch ansehen kann. „Ich war traurig und wusste nicht, was ich machen soll.“

Durch die Schläuche, die von der Maschine neben seinem Bett zum zerbrechlichen Körper des 16-Jährigen führen, fließt Antibiotikum und Flüssignahrung. Kopfschmerzen und Übelkeit durch die Chemo, neben dem Krebs muss Dursuns geschwächter Körper jetzt auch noch gegen eine Lungenentzündung ankämpfen.

Mit Mundschutz und grünem Schutzkittel sitzt Silke Lethen neben dem Bett, zwischen den beiden das aufgeschlagene Mathebuch. Die Gefahr, dass die Lehrerin Krankheitserreger von draußen in Dursuns Krankenzimmer bringt, ist ohne die Schutzmaßnahmen zu groß.

Am Anfang sei es schwer für ihn gewesen, sich auf Unterricht zu konzentrieren, sagt der 16-Jährige. „Jetzt ist das eine gute Ablenkung, an guten Tagen mache ich das gerne.“ Und an schlechten? „Da kann ich keinen Unterricht machen“, gesteht Dursun, auch wenn ihm das schwerfällt. Seine dunklen Augen leuchten. Heute ist ein guter Tag.

Das sieht auch Silke Lethen, die Dursun auch an den schlechteren immer wieder zu motivieren versucht — damit die Krankheit nicht im Vordergrund steht. „Unser Ziel ist, die Schüler zurück ins normale Leben zu schubsen.“ Dabei müssen Lethen und Nordmann gerade am Anfang schwerer Diagnosen oft harte Überzeugungsarbeit leisten.

„Kein Kind sucht sich unsere Schule freiwillig aus. Am Anfang spüren wir oft Widerstand“, sagt Nordmann. „Besonders Eltern, die gerade erfahren haben, dass ihr Kind schwer erkrankt ist, misstrauen erst mal jedem. Da müssen wir viel Beziehungsarbeit leisten.“

Ja, der Tod gehöre in ihrem Job mehr als in dem einer Lehrerin an der Regelschule dazu, „das muss man akzeptieren“, sagt Nordmann. Aber medizinisch sei heute schon viel möglich. „Die meisten Kinder und Jugendlichen hier werden wieder gesund.“ Gesund werden — Dursun glaubt ganz fest daran: „Ich muss jetzt nach vorne schauen und das Nötige machen.“

Was das ist? Erst mal zwei weitere Chemos, dann die OP im Januar, bei dem der Knochen zwischen Schienbein und Knie in seinem linken Bein durch eine Prothese ersetzt wird. „Fußball sollte ich danach nicht mehr spielen“, sagt Dursun mit Blick auf die Krücken, mit denen er jetzt, wenn er stark genug ist, um aufzustehen, sein krankes Bein entlasten soll. „Aber ganz normal Laufen, das geht dann hoffentlich wieder.“ Und das ist es, was für ihn zählt.

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