Ein Schatz aus 10 600 Flaschen

In einem Keller an der Adlerstraße lagert eine einzigartige Farbstoffsammlung. Sie wird jetzt in Rheydt ausgestellt.

Ein Schatz aus 10 600 Flaschen
Foto: Bischof, Andreas (abi)

Krefeld. In einem Keller der Hochschule Niederrhein an der Adlerstraße fristete bislang eine einzigartige Kollektion ihr unbeachtetes Dasein. Die Hochschule ist stolzer Besitzer einer Sammlung historischer Farbstoffe, die wohl zu den größten Farbstoffsammlungen weltweit gehört. Im Rahmen einer Ausstellung im Museum Schloss Rheydt erblickt der Schatz jetzt erstmals das Licht der Öffentlichkeit.

Ein Schatz aus 10 600 Flaschen
Foto: nn

Bisher galt die historische Farbstoffsammlung der TU Dresden mit rund 8000 Farbstofffläschchen als die größte. Die Krefelder Sammlung umfasst rund 10 600 Farbfläschchen. In alten Apothekerschränken stehen die zeitlos schönen Flaschen aus klarem oder braunem Glas mit geschliffenen Deckeln. Ihre vergilbten Etiketten sind handbeschriftet, zum Teil sind die Verschlüsse noch mit Siegelresten aus Pergament versehen.

Ein Schatz aus 10 600 Flaschen
Foto: Jörg Knappe

Doch die eigentliche Kostbarkeit ist der Inhalt: Farbstoffe von knapp 80 führenden Farbstoffherstellern der deutschsprachigen Länder aus der Zeit zwischen 1870 und 1975. „Die 2000 schönsten Flaschen sind im Moment in Rheydt zu sehen“, sagt Jürgen Schram, der die Ausstellungsmacher inhaltlich berät.

Der Professor für instrumentelle Analytik und Umweltschutzanalytik lehrt seit 22 Jahren an der Hochschule Niederrhein. „Ich habe mich schon immer mit der Kulturgeschichte der Chemie und der Geschichte der Hochschule beschäftigt“, sagt der Hüter der Farbsammlung. Wissenschaftlich dokumentiert haben Jürgen Schram und zwei seiner Studenten bislang rund 6000 Farbstoffe.

Der Ursprung der Sammlung geht zurück auf das Jahr 1855. Die Krefelder Höhere Webeschule galt neben Lyon als beste praxisorientierte Ausbildungsstätte Europas. Schon damals stand anwendungsorientierte Chemie im Bereich Färben und Textilveredlung auf dem Lehrplan. Das Thema gewann zunehmend an Bedeutung: So wurde 1883 die Färberei- und Appreturschule gegründet.

„In den Laboren an der Lewerentzstraße und später an der Adlerstraße wurden Rezepturen für das dauerhafte Färben von Luxustextilien wie Samt und Seide entwickelt“, erklärt Jürgen Schram. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Farbstoffe aufwendig aus natürlichen Rohstoffen wie Blütenblätter, Harze, Muscheln oder Schnecken gewonnen. Dieser langwierige Prozess war kostspielig, nur die Reichen konnten sich eine bunte textile Welt leisten.

Durch Zufall entdeckte der Engländer William Henry Perkin 1856, wie man synthetische Farbstoffe aus dem bei der Kohleverkokung anfallenden Teer herstellen konnte. Der erste synthetische Farbstoff war das malvenfarbene Mauvein. Als zweites machte das magentafarbige Fuchsin Furore. Unter Chemikern brach eine regelrechte Goldgräberstimmung, ein wahrer Farbenrausch, aus.

„Waren zuvor ein paar Gramm Farbstoff wertvoller als Gold, so konnten nun aus ein paar Kilogramm Teer einige Kilogramm organische Farbstoffe gemacht werden“, berichtet Schram über die enormen finanziellen Erfolge. „Alle deutschen Chemieunternehmen haben in der Produktion der Farbstoffe ihre Wurzeln.“

Fortan schickten die Farbstoffhersteller ihre Proben nach Krefeld. Für die Forschung reichte ein Bruchteil des eingereichten Farbstoffs, der Rest blieb samt Flakon Eigentum der Institution — und wurde zum Glück auch nach dem Zusammenbruch der Textilindustrie am Niederrhein nie weggeworfen.

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