Krefelds erste Pfarrerin Der Lebenstraum einer Pionierin

Christel Wenzlaff war Krefelds erste Pfarrerin. In diesem Jahr feiert sie ihre Diamantene Ordination.

Krefelds erste Pfarrerin: Der Lebenstraum einer Pionierin
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Das Thema für den freien Aufsatz hieß „Was möchte ich mal werden?“. Damals im Lyzeum in Königsberg war Christel Wenzlaff zehn Jahre. „Und ich weiß es wie heute, dass ich schrieb: Ich möchte Pfarrerin werden“, erinnert sich die Krefelderin. Was dieser Berufswunsch Mitte der 30er-Jahre bedeuten würde, konnte die Schülerin nicht ahnen. Es waren Jahre, in denen sie Gefahr lief, ins Visier der Nationalsozialisten zu geraten, Jahre der Entbehrungen und des Hungers, bis ihr Traum wahr wurde. Bis sie 1966 die erste evangelische Pfarrerin Krefelds wurde.

„Das da unten rechts in der zweiten Reihe, das bin ich“, sagt Christel Wenzlaff und zeigt auf eines der Portraits auf dem Werbeposter für die Wanderausstellung „Pionierinnen im Pfarramt — 40 Jahre Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt der Evangelischen Kirche im Rheinland“. Die Öffnung der Universitäten, der Schritt auf die Kanzel, die Gleichstellung mit den männlichen Kollegen 1975 — es war ein langer Weg für die Frauen ins geistliche Amt. Und es war ein langer Weg für Christel Wenzlaff. Dabei musste die gebürtig aus Pommern stammende Frau Mut und Durchhaltevermögen beweisen.

Denn als sie 1944 in Posen ihr Abitur machte, musste sie eine erste Hürde überwinden. „Damals mussten alle Schulabgänger angeben, was sie danach beruflich machen wollten. Das musste ins Zeugnis und alles, was mit Kirche zu tun hatte, war den Nazis suspekt.“ Doch ihre „tolle“ Klassenlehrerin habe ihr Mut gemacht: „Wenn Sie den Beruf ergreifen wollen, dann stehen sie dazu und seien sie nicht feige.“ Wenzlaff traute sich, und ist heute noch erstaunt, dass nichts passierte.

Bis zum Theologiestudium und Vikarinnenposten sollte es aber noch dauern. Kriegshilfsdienst war ihre nächste Station. Doch nur eine Woche durfte die 19-Jährige in einer Grundschule in einem kleine Dorf bei Posen den Kindern schreiben und lesen beibringen. „Dann erfuhr der Schulleiter, was ich werden wollte, und ließ mich versetzen.“ Sie sei ein schlechtes Vorbild für die Kinder.

Es folgte ein Barrackenlager in Jarocin, in dem sie mit anderen Frauen Flugzeugersatzteile sortieren musste. Und dann überschlugen sich die Ereignisse: Die Front kam näher, nach der Flucht durch Eis und Schnee landete sie zum Ende des Krieges im Harz. Wo sie aber nicht lange blieb, weil sie von einem ihr bekannten Kirchenvertreter erfuhr, dass die Unis zwar noch geschlossen waren, es in Halle aber die Möglichkeit zum Studium gab. Heute sagt sie darüber, dass sie ihn traf: „In meinem Leben gab es keinen Zufall, sondern Gottesfügungen.“

In Holzpantoffeln, einer Wolljacke eines Kriegsgefangenen mit der Aufschrift „Prisoner of War“ auf dem Rücken und mit ständigem Hunger saß sie im ersten Semester mit einer Hand voll Studenten und den Professoren, „die wie väterliche Freunde waren“, zusammen in der Martin-Luther-Universität. „Das muss man sich mal vorstellen, wenn man sieht, wie die Studenten heute zu Hunderten in den Hörsälen sitzen.“

Nach einem Jahr Auslandsstipendium mit Studium in Wales — „bei dem meine Mitstudenten für mich Kleider gesammelt haben“ — folgten letzte Studienjahre in Bonn und das erste Staatsexamen 1952. Nur eine weitere Frau machte im Bereich der rheinischen Kirche damals den gleichen Abschluss.

Schon im ersten Jahr ihres darauffolgenden Vikariats verschlug es Christel Wenzlaff nach Krefeld in die gerade wiederaufgebaute Alte Kirche. Ihre Familie, Mutter, Bruder, Schwester, waren hier nach den Kriegswirren untergekommen. Während des Studiums war Christel Wenzlaff hier zu Besuch gewesen, aber sie hatte den hiesigen Pfarrer Johannes Lauer kennengelernt. „Ein begnadeter Prediger, man musste lange vor seinen Gottesdiensten da sein, um noch einen Sitzplatz zu bekommen“, blickt Wenzlaff auf diese entscheidende Bekanntschaft zurück.

Lauer ließ sie machen. „Er erlaubte mir zu predigen, obwohl ich eine Frau war.“ In dieser Zeit durften sie eigentlich nur eingeschränkt mit Frauen und Kindern arbeiten. „Wenn man sich vorstellt, dass das während des Krieges schon anders gewesen war. Der Heilige Geist war wohl nur in Zeiten des Krieges bei den Frauen.“ Als sie später — nach dem zweiten Staatsexamen, ihrem Hilfspredigerjahr in Gummersbach und der Ordination 1955 — einen Brief von Lauer bekam, dass am Ricarda-Huch-Gymnasium eine Stelle frei sei, zögerte sie nicht. Sie wurde 1962 Religionslehrerin und übernahm die anderen Dienste der Gemeinde Alt-Krefeld.

Und irgendwann sollte endlich der Tag kommen, den sie in ihrem Aufsatz herbeigesehnt hatte. Sie wurde Pfarrerin: Ab 1966 blieb sie fünf Jahre in der Johanniskirche in Forstwald „mit 75 Prozent des Gehalts der männlichen Kollegen und einer Zölibatsklausel, aber das war mir egal“. 1971 wurde sie 40. Pfarrer der Alten Kirche und blieb fast 20 Jahre bis zu ihrer Rente 1989. „Es war eine tolle Zeit, eine tolle Gemeinde. Ich denke mit großer Dankbarkeit und Freude an diese Dienstzeit zurück. Es war mein Lebenstraum.“

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