Interview Stadtschulpflegschaft: "Wir brauchen mehr Lehrer, Geld und Räume"

Im April feiert die Stadtschulpflegschaft Krefeld Einjähriges. Ein Gespräch mit den Vorsitzenden über die Herausforderungen ihrer Arbeit in einer Bildungslandschaft im Umbruch.

Interview: Stadtschulpflegschaft: "Wir brauchen mehr Lehrer, Geld und Räume"
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Hinter Claudia Wichmann und Thomas Jansen liegt ein arbeitsintensives Jahr, vor ihnen Herausforderungen für die Zukunft. Die beiden sind die Vorsitzenden der im April 2016 gegründeten Stadtschulpflegschaft Krefeld. Das Ziel des Vereins: die Interessen von Schülern aller Schulformen in Primar- und Sekundarstufe zu bündeln.

Frau Wichmann, Herr Jansen, ein Jahr ist es bald her, dass sich die Stadtschulpflegschaft Krefeld gegründet hat. Derzeit ist sie Sprachrohr für etwas mehr als die Hälfte der 62 Schulen in der Stadt. Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Thomas Jansen: Unterrichtsausfälle, die Umsetzung von Inklusion, veraltete und marode Schulgebäude: Die Probleme sind an allen Schulen gleich, aus diesem Gedanken heraus haben wir die Stadtschulpflegschaft gegründet. Aktuell sind wir fünf Vorstands- und sieben Beiratsmitglieder, die nahezu alle Schulformen vertreten; die Berufskollegs fehlen noch. Inzwischen konnten wir zwei ehemalige Schulleiter als Ehrenbeiratsmitglieder gewinnen. Das sind Kompetenzen, von denen die Stadtschulpflegschaft profitiert, denn als Eltern sehen wir ja vor allem die eine Seite.

Claudia Wichmann: Wir wollen nicht oppositionell, sondern konstruktiv und auf Augenhöhe mit Schulen und Stadt etwas für die Schüler erreichen.

Gegen eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren (G 9) haben Sie heftige Kritik geäußert.

Jansen: Wir sind nicht prinzipiell gegen eine Rückkehr zu G 9 an den Gymnasien, nur wenn sie auf Kosten anderer Schulformen umgesetzt würde. Das aktuelle Volksbegehren sieht vor, dass Unterrichtsstunden, die an den Gymnasien aufgeschlagen werden müssten, anderswo wegfallen, damit durch die verlängerte Schulzeit keine zusätzlichen Personalkosten anfallen. Diese Stunden müssten an anderen Schulen etwa bei pädagogischen Förderprogrammen wie der Lese-Rechtschreib-Förderung gekürzt werden. Das ist nicht in Ordnung — und deshalb ist das Volksbegehren so fatal. Wenn es durchkommt, muss es in seiner jetzigen Form umgesetzt werden. Dann ist sein Wortlaut im Landtag nicht mehr verhandelbar. Das sollte sich jeder bewusst machen, bevor er es unterzeichnet.

Wichmann: Ich halte eine individuellere Förderung für sinnvoll, indem man sowohl G 8 als auch G 9 anbietet: Es gibt Kinder, die ihr Abitur nach zwölf Jahren problemlos schaffen, andere brauchen 13 oder 14 Jahre.

Die Hauptschulen haben einen schlechten Ruf. Das Ende dieser Schulform ist in Krefeld beschlossene Sache, bis 2021 soll sie auslaufen. Wer ist jetzt in der Pflicht?

Wichmann: Das Ende der Hauptschulen war wegen der sinkenden Anmeldezahlen absehbar, den schlechten Ruf kann ich persönlich nicht nachvollziehen, weil Schüler dort gut gefördert werden. Ich denke, es muss in der Gesellschaft generell ein Umdenken stattfinden, weg vom Leistungsdenken und Akademisierungswahn. Hin dazu, dass jedes Kind so gefördert und akzeptiert wird, wie es ist. Auffangen müssen die Schüler der auslaufenden Hauptschulen künftig wohl vor allem die Real- und Gesamtschulen. Da sehe ich schon die Gefahr, dass dort dann das Bildungsniveau sinkt.

Jansen: Um diese Schüler gerechter auf alle Schulformen verteilen zu können, halte ich es für sinnvoll, an den Gymnasien die Möglichkeit zu schaffen, einen anderen Schulabschluss als ausschließlich Abitur zu machen. So kann man auch verhindern, dass leistungsschwächere Schüler, die aber ursprünglich mit einer Gymnasialempfehlung auf diese Schule gekommen sind, die Schulform wechseln müssen.

An den Realschulen soll ein Bildungsgang Hauptschule eingerichtet werden — was halten Sie davon?

Wichmann: Gar nichts. Mit Integration hat das nichts zu tun. Im Gegenteil, das ist Ausgrenzung. Wünschenswert wäre eine individuelle Förderung in kleineren, gemischten Klassen — aber das ist in Zeiten von Lehrermangel und knappen Kassen wohl Wunschdenken.

Stichwort Lehrermangel: Laut NRW-Schulministerium fallen nicht einmal zwei von 100 Schulstunden aus. Stichproben der Landeselternschaft haben jetzt mehr als das Dreifache erfasst. Ist das in Krefeld auch ein Problem?

Wichmann: Ja, es fällt zu viel Unterricht aus. Häufig werden die Schüler, manchmal drei, vier Klassen gemeinsam in der Mensa betreut. Oder es findet fachfremder Unterricht statt, heißt: Wenn Englisch ausfällt, weil der Lehrer krank ist, dann zieht etwa der Mathelehrer seine Unterrichtsstunde vor. Als Unterrichtsausfall wird das aber nicht gewertet. Es gibt zu wenig Lehrer, auch in Krefeld. Da muss dringend etwas passieren. Denkbar wäre, dass man auch Seiteneinsteiger, also Menschen mit fachfremden Berufen, pädagogisch fördert und zum Unterrichten an die Schulen holt.

Inklusion ist an Schulen in NRW seit 2013 Pflicht. Wie funktioniert der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern aus Ihrer Sicht?

Wichmann: Der Inklusionsgedanke ist supergut. Das Thema aber trotzdem traurig. Selbst wenn es bei der vorgeschriebenen Klassenstärke von 26 bliebe: Die Klassen sind viel zu groß, um darin Kinder und Jugendliche mit und ohne Förderbedarf individuell nach ihren Bedürfnissen fördern zu können. Dazu kommt: Lehrer sind oftmals nicht für den Umgang mit Inklusionsschülern ausgebildet, Sonderpädagogen nur für eine begrenzte Stundenzahl in den Klassen. Und dann gibt es Schulen, an denen werden alle Inklusionskinder eines Jahrgangs in einer Klasse unterrichtet — wie soll Inklusion so funktionieren?

Jansen: In NRW fahren wir das teuerste System, weil wir uns hier weiterhin die Förderschulen leisten. Diese Förderlehrer fehlen an den Regel-, aber auch an den Förderschulen.

Die Bezirksregierung hat entschieden, dass geflüchtete Schüler nach spätestens zwei Jahren aus den so genannten Seiteneinsteiger- in Regelklassen integriert werden müssen. Viele Schulen stellt das vor zusätzliche Herausforderungen.

Wichmann: Die Gesamtschulen sind da sicher am meisten gefordert, aber auch auf die Realschulen kommt einiges zu. Das Problem ist ja, dass die wenigsten nach Ablauf der zwei Jahre auf dem Gymnasium bleiben oder dahin wechseln können. Auch wenn die Kinder recht gut die Sprache lernen: viele haben, bevor sie nach Deutschland kamen, nie eine Schule gesehen. Wie sollen sie es in zwei Jahren schaffen, den Anschluss zu finden? Auch diese Kinder müssten dringend mehr gefördert werden. Nur: Mit welchen Lehrern, mit welchem Geld und in welchen Räumen? An einige Schulen sind sogar pensionierte Lehrer zurückgerufen worden, um diese Kinder zu unterrichten.

Das Landesförderprogramm „Gute Schule 2020“ soll hier ansetzen. Insgesamt will die Stadt in den nächsten vier Jahren 90 Millionen Euro in Bildung investieren. Wo sehen Sie den größten Bedarf?

Wichmann: Als Stadtschulpflegschaft haben wir im vergangenen Herbst alle Schulleiter und Pflegschaftsvorsitzenden angeschrieben und nach Mängeln an ihren Schulen gefragt. Ganz oben auf der Mängelliste steht die Toilettensituation. Schultoiletten müssen dringend saniert, anschließend aber auch in Reinigungskräfte und Beaufsichtigung investiert werden, damit die Toiletten nicht direkt wieder verdrecken. Außerdem sind viele Klassenräume und Turnhallen marode. Wir haben von Fenstern gehört, die zugeschraubt sind, weil sie sonst herausfallen würden und von bröckelndem Putz an den Wänden. In der Vergangenheit wurde viel zu wenig getan, so ist dieser Bausanierungsrückstau entstanden.

Jansen: Die 90 Millionen Euro sind gut angelegtes Geld, sie sind allerdings nur ein Anfang. Nachholbedarf ist da, es muss dringend weiter in unsere Schulen investiert werden. Bund und Land sind da genauso in der Pflicht, wie die Stadt.

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