Wie eine Hauptschule den Weg aus der Sackgasse findet

Bildung: Das Theaterspiel war an der Krefelder Stephanusschule ein Experiment. Inzwischen feiern die Schüler auch schulische Erfolge.

Krefeld. Ein zufriedener Regisseur sieht anders aus. "Thorben, du bist Helenas Freund und kein Stalker", ruft Hauptschullehrer Michael Cornély und bringt den ratlosen 17-Jährigen in die gewünschte Position. "Ihr müsst euch dem Publikum zuwenden, und gestikuliert nicht so viel." Die Theatergruppe der Stephanusschule, einer katholischen Hauptschule in Krefeld, probt für ein ehrgeiziges Projekt. Die 25Schüler wollen "Die Welle" aufführen, die Geschichte eines Unterrichtsexperiments, in dem sich Jugendliche in Faschisten verwandeln.

Als Cornély vor sechs Jahren die Theatergruppe ins Leben rief, ähnelte das ebenfalls einem Experiment. "Das Theaterspiel ist an Hauptschulen die Ausnahme", sagt der Englisch- und Geschichtslehrer. Auch an der Stephanusschule gab es damals nur ein Kindertheater, inzwischen ist es ein Wahlpflichtfach aus dem Themenkreis Deutsch. Aus dem Experiment ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die zeigt, dass der Hauptschulbesuch nicht in der Sackgasse enden muss.

Bundesweit wird der Schulform kaum eine Überlebenschance gegeben. Zehn Bundesländer haben sie bereits aufgelöst. Noch im Dezember hatte die Kultusministerkonferenz über eine Absenkung der Bildungsstandards diskutiert - weil die Schüler sie sowieso nicht erreichen könnten. Durchsetzen konnten sich die Hauptschulgegner nicht. NRW setzt gar auf die "Qualitätsoffensive Hauptschule" mit mehr Praktika, Berufsorientierung und Kooperationsklassen mit Berufskollegs. Letztlich sind es aber die Lehrer, die den Rahmen mit Leben füllen, den das Schulministerium vorgibt.

Beispiel Stephanusschule: "Das Theaterspiel ist für viele Schüler der schulische Urknall", sagt Cornély. Denn der 46-Jährige stellte fest, dass sich der spielerische Umgang mit der Sprache positiv auf andere Fächer auswirkt. "Ich hatte schon Sprachgestörte hier, die sich nach kurzer Zeit gut ausdrücken konnten." Fast die Hälfte der Jungschauspieler macht einen 10b-Abschluss, der zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigt. Cornély sieht im Theater eine Chance für die Jugendlichen, auch im wahren Leben ihre Rolle zu finden. "Die Schüler werden selbstbewusst und lernen ihre Stärken kennen." Zudem binde man Schüler an die Schule, die ansonsten aufgegeben würden - wie etwa eine Schulschwänzerin, die nur wegen des Theaters noch zur Schule ging.

Die 13- bis 18-Jährigen sehen in den 90 Minuten pro Woche nicht nur einen Ausgleich zum Schulstress, sondern ebenso eine Vorbereitung auf ihr Berufsleben. "Ich spreche frei vor Publikum. Das macht es auch einfacher, vor der Klasse einen Vortrag zu halten", sagt die 17-jährige Nancy. Steffi (16) ergänzt: "Das sichere Auftreten kommt mir in Bewerbungsgesprächen zugute."

Dass es sich bei der "Welle" um einen gesellschaftskritischen Stoff handelt, schreckt die Schauspieler nicht ab. "Dieses Thema ist ernst, also muss man als Darsteller auch so rüberkommen", sagt die 17-Jährige. Und Robert (18) meint: "Weil jeder die ,Welle’ kennt, haben die Zuschauer bestimmte Erwartungen." Cornély hat indes keine Angst, dass die Jugendlichen diese Erwartungen nicht erfüllen können. Er will mit dem Theater vielmehr beweisen, dass Hauptschüler bei entsprechender Förderung viel mehr leisten können als Bildungspolitiker ihnen gemeinhin zutrauen.

Cornély konfrontiert seine Schüler bewusst mit Stoffen, die über die Basisanforderungen der Schulform hinausgehen. So ist die "Welle" zwar ein Schullektüre-Klassiker. "Das Buch ist jedoch sprachlich einfach und hält dem Vergleich mit dem Theaterstück nicht stand." Deshalb war es zuerst Aufgabe der Gruppe, das Stück für die Bühne nachzuarbeiten. Der gleichnamige Kinofilm war tabu. "Wir sollen die Figuren selbst interpretieren", sagt Steffi.

"Deine Körperhaltung muss Betroffenheit ausdrücken", ruft Cornély in diesem Moment einem Darsteller zu. "Du siehst aber so aus, als wolltest du Kohlen aus dem Keller holen." Wenn das nicht bald klappe, könne man gleich Kaffee trinken gehen, sagt er. Aber der Kaffee wird bis nach der Premiere warten müssen.

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