Wenn die Worte fehlen

Aphasiker haben ihr Sprachvermögen verloren. Gemeinsam trainieren sie die Rückkehr ins normale Leben.

Krefeld. Sein frohes Gemüt hat er behalten. Rüdiger Schmitz ist voller Vorfreude auf die anstehende Karnevalssession. "Was einmal in einem drin steckt, das kriegt man nicht mehr raus", sagt er und lächelt. Über 35 Jahre lang hat er selbst in der "Bütt" gestanden, doch das Redenschwingen muss er jetzt anderen überlassen. Vor sieben Jahren beendete ein Schlaganfall seine närrische Karriere.

Der Krefelder wird nachdenklich, erinnert sich an eine traurige Zeit. "Ich konnte nicht laufen, musste alles wieder lernen." Vor allem eins: das Sprechen. "Das war das Schlimmste." Es sei zwar besser geworden, viel besser, sagt er heute. Sogar Gedichte kann er wieder aufsagen. Doch es ist längst nicht wie früher.

Schmitz leidet an Aphasie, einer Sprachstörung, die meistens infolge eines Schlaganfalls auftritt. Aber auch Tumorerkrankungen und Unfälle können Ursache sein. Regelmäßig trifft sich die Selbsthilfegruppe der Aphasiker im Pfarrheim St. Franziskus.

Bis zu 50 Teilnehmer sind dabei - inklusive Angehörige. "Schon die Betroffenen so weit zu bringen, dass sie kommen, ist eine Herausforderung", weiß Ria Dorsemagen, seit zwölf Jahren Logopädin der Gruppe. Zu tief sitzt bei vielen der Schock, plötzlich bei Null anfangen zu müssen.

Der Freundeskreis wird kleiner. Oft hat Dorsemagen erlebt, dass Schlaganfallpatienten im Krankenhaus noch oft besucht wurden - zu Hause aber gar nicht mehr. "Früher wussten einige Ärzte gar nicht, was Aphasie ist. Und es hieß immer, die ersten zwei Jahre sind entscheidend. Mittlerweile weiß man aber, dass auch nach vielen Jahren noch Fortschritte möglich sind. Das Gehirn ist regenerationsfähig." Wie weit, das kann allerdings niemand sagen.

Die Gruppe ist bunt gemischt, auch was die Ausprägung der Aphasie betrifft. Die jüngste Teilnehmerin ist knapp 30. Einige können fast gar nicht mehr sprechen. Für Außenstehende ist es kaum zu begreifen, wie es ist, plötzlich ohne Sprache auskommen zu müssen. "Im Kopf weiß man alles, aber man bekommt es nicht raus", sagt Schmitz’ Gegenüber, ein Herr um die 50. Ihm fällt es schwer, über seinen Fall zu reden. Vor gut einem Jahr hatte er mehrere Schlaganfälle. "Das liegt einfach noch zu nah."

Er spricht sehr bedächtig, wer ihm zuhört, merkt ihm kaum etwas an. Die Betroffenen selbst jedoch wissen, wo sie wirklich stehen, haben den Vergleich zu früher. "Beim Sprechen bin ich vielleicht bei 70 Prozent", sagt der ehemalige Büroangestellte. Schreiben und Lesen funktioniere aber noch überhaupt nicht. "Das ist Chaos." Er selbst ist ehrgeizig, will Fortschritte. "Ich fühle mich noch viel zu jung, um Rentner zu sein."

Leistungsorientierte Menschen, sagt Dorsemagen, fallen nach einem Schlaganfall in ein besonders tiefes Loch. Der Verlust der Muttersprache schmerzt. Die Betroffenen aus der Isolation zu holen, ist das Ziel der Selbsthilfegruppe - und natürlich die Fähigkeiten zu verbessern. Bereits vor elf Jahren startete die Logopädin mit Computertraining in Kleingruppen. Beim Gruppentreffen wird außerdem gespielt, zum Beispiel "Scrabble" zur Wortschatzerweiterung.

Und gemeinsames Singen steht auf dem Programm. Das klappt oft, auch wenn sonst kaum noch Sprache vorhanden ist. "Singen, Gedichte, aber auch Fluchen gehören zum automatisierten Sprechen", erklärt Dorsemagen. Dafür zeichnet sich die rechte Gehirnhälfte verantwortlich.

Bei einem Schlaganfall ist aber meistens die linke betroffen. Eins ist der Logopädin besonders wichtig. "Aphasie ist keine geistige Behinderung. Die Leute müssen begreifen, dass Aphasiker Menschen wie du und ich sind."

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