Wenn die Rente nie reicht

Die Altersarmut in Krefeld steigt bereits seit einigen Jahren an. Aber sie wird sich laut Experten in den kommenden Jahren noch rasanter verbreiten.

Wenn die Rente nie reicht
Foto: Dirk Jochmann

Um 16 Prozent ist die Zahl der Menschen, die im Alter auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind und außerhalb von Pflege- und Altersheimen leben, in den vergangenen fünf Jahren angestiegen. Das geht aus einer Auswertung des Fachbereichs Soziales Krefeld hervor. Derzeit erhöhe sich die Zahl der Empfänger bereits sukzessive, für die kommenden Jahre erwarte man allerdings, dass sich das Phänomen der Altersarmut rasant weiter verbreiten wird.

3018 Männer und Frauen erhalten aktuell Grundsicherung im Alter, davon 2725 Menschen, die noch in ihren eigenen vier Wänden leben.

Was es bedeutet, wenn die Rente im Alter nicht reicht, weiß Nele Perpéet nicht nur aus ihrer Zeit als Beraterin von Betroffenen, sondern mittlerweile aus eigener persönlicher Erfahrung. Auch bei ihr bleibe „am Ende des Monats kaum Geld übrig“, sagt sie nüchtern über ihre Situation.

Nachdem Perpéet ihr Abitur absolviert hatte, studierte sie zunächst Germanistik auf Lehramt, ehe sie dies zur Verwirklichung ihrer Karriere als Künstlerin aufgab. Nebenbei arbeitete sie außerdem als Pflegerin in einem privaten Heim. Als dieser Einkommenszweig wegbrach, engagierte sie sich ehrenamtlich als Begleiterin zu verschiedenen Ämtern und unterstützte Menschen, die sich in jener Armutsfalle befanden, die kurz darauf auch sie ergriff. Nun müsse sie selbst jeden Cent umdrehen und auch dann sei mehr als das Stillen der Grundbedürfnisse kaum möglich.

„Besonders bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist man sehr eingeschränkt“, konstatiert Perpéet. Für jeden Theater- oder Museumsbesuch sei ein spezieller Bescheid erforderlich, der häufig einer gewissen Stigmatisierung gleichkomme. Ohnehin sei bereits ein Ausflug nach Düsseldorf kaum erschwinglich, da die Preise der Fahrkarten sich nicht mit dem finanziellen Rahmen vereinbaren ließen. Die subsidiäre Forderung, sie solle obendrein Geld zurücklegen, empfindet sie daher als „zynisch“.

„Armut belastet die Psyche. Sie macht einen anfällig und untergräbt die Arbeitsmoral“, berichtet Perpéet auch aus ihrer Erfahrung als Begleiterin von Menschen bei verschiedenen Sozialämtern. Dort habe sie in der Vergangenheit nicht selten erlebt, dass die Behandlung prekär Beschäftigter und von Armut Betroffener äußerst dominant sei. „In vielen Fällen herrscht dort eine sehr bevormundende Sprachstruktur. Es wird Macht ausgeübt.“

Auch ihr persönlich seien Denunziationen und abfällige Bemerkungen nicht fremd. So habe ihr einst ein Bekannter gesagt, dass sie besser hätte Lehrerin werden sollen. Die Auferlegung eines direkten Schuldgefühls hinsichtlich ihrer Situation empfindet sie als besonders peinigend.

„Altersarmut bedeutet häufig auch abgeschottet zu sein. Nicht mithalten zu können. Vereinsamung ist keine Seltenheit“, erklärt Perpéet. Von immenser Bedeutung sei daher ein starkes soziales Umfeld, auf das man sich verlassen kann. Sie selbst könne glücklicherweise auf die Unterstützung ihrer sozialen Kontakte bauen.

Besonders in NRW gehört zum Thema Altersarmut eine weitere unangenehme Wahrheit. „Altersarmut ist weiblich“, sagt Carsten Ohm vom Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen. Im Westen kämen somit auf 1000 Euro Netto-Rente für Männer lediglich 500 Euro für Frauen.

Die Rente ist häufig Spiegelbild der eigenen Erwerbsbiographie, so Ohm. Denn prekäre Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit resultiere oftmals in einer zu geringen Rente im Alter. „Die Arbeitsverhältnisse aus früheren Jahren sind einem totalen Umbruch unterworfen. Es gibt kaum noch eine lineare Berufslaufbahn bei ein und demselben Betrieb“, befindet Perpéet. Und die Zahlen geben ihr Recht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts war 2016 jeder Fünfte der Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, also Minijobs, Leih-, Zeitarbeit oder befristeten Verträgen beschäftigt.

Zudem ist die Beschäftigungsfluktuation weiterhin hoch. Für Nele Perpéet ist klar, dass es an struktureller Veränderung bedarf. „Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit“, konstatiert sie. Doch abseits von möglichen Instrumenten zur Abkopplung der sozialen Sicherheit vom Arbeitsmarkt (Dekommodifizierung) könne auch in Krefeld einiges getan werden. „Es muss deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum geben“, erläutert Perpéet. Besonders für Frauen in der Altersarmutsfalle seien Obdachlosenasyle keine Option. Zugleich lobt sie die Arbeit der Krefelder Tafel.

Auch wenn Perpéet von Altersarmut betroffen ist, versucht sie weiterhin aktiv zu bleiben. Regelmäßig gibt sie unentgeltlich Nachhilfe in Latein und verfolgt noch immer ihre künstlerischen Interessen. Obendrein sammelt sie Erfahrungsberichte von Menschen, die in Armut geraten sind und arbeitet diese literarisch auf. Es sei wichtig ein Bewusstsein für Armut — im Alter — zu schaffen, ansonsten könne sich nachhaltig nichts verbessern.

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