Vermisster Säugling: Jugendamt wehrt sich gegen „Kinderklau“-Vorwürfe

Der Leiter des Krefelder Jugendamtes sieht seine Mitarbeiter im Internet derzeit zahlreichen Unterstellungen und Beleidigungen ausgesetzt.

Die Vorwürfe machen Markus Schön sauer. Der Leiter des Krefelder Jugendamtes sieht seine Mitarbeiter im Internet derzeit zahlreichen Unterstellungen und Beleidigungen ausgesetzt. Die Vorwürfe beziehen sich auf das Vorgehen des Jugendamtes im Fall des seit der vergangenen Woche vermissten Säuglings. Vom „Kinderklau“ durch das Jugendamt ist die Rede, von unverhältnismäßigen Maßnahmen der Stadt.

„Natürlich ärgern mich solche Aussagen, wir klauen keine Kinder“, sagt Schön, bevor er darauf verweist, dass man gegen „solche haltlosen Anschuldigungen“ nicht viel ausrichten könne. „Wir können ja zu den einzelnen Fällen, in denen wir Kinder in Obhut genommen haben, aus Datenschutzgründen öffentlich keine Angaben machen.“ Dennoch, versichert der Jugendamtsleiter, sei es das letzte Mittel des für Sorgerechtsfragen zuständigen Teams Kindeswohl, Kinder von ihren Familien zu trennen.

686 Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung hätten seine Mitarbeiter im vergangenen Jahr erhalten. In 170 Fällen bestätigte sich der Verdacht. 76 Kinder wurden durch das Jugendamt in Obhut genommen. Genau so geschah es auch am vergangenen Donnerstag im Helios-Krankenhaus.

Das Klinikpersonal hatte das Jugendamt gemäß seiner Mitteilungspflicht auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung hingewiesen. Schöns Mitarbeiter reagierten noch am gleichen Tag. „Es war immer das Ziel, der Familie unterschiedliche Hilfen anzubieten. Die Mutter zeigte sich kooperativ“, berichtet Schön. Gestern bestätigte das Familiengericht die Ansicht des Jugendamtes und entzog den 18 und 24 Jahren alten Eltern zudem das Sorgerecht. Dieses besitzt jetzt das Jugendamt und damit auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Strafrechtlich wird das Verschwinden der Eltern mit dem Kind trotz des Gerichtsbeschlusses aber wohl keine Konsequenzen haben. „Strafrechtlich hat sich durch den Beschluss aus meiner Sicht nichts geändert“, erklärt Axel Stahl. Der Oberstaatsanwalt verweist darauf, dass eine Kindesentziehung erst dann strafrechtlich zu bewerten sei, wenn Eltern vorsätzlich — und damit erst nach Zustellung des Gerichtsbeschlusses — gegen ein entsprechendes Urteil verstießen.

Weil es sich bei der Familie um polnische Staatsangehörige handelt, die sich vermutlich wieder in ihrem Heimatland aufhalten, dürfte eine Zustellung kompliziert werden. Die Stadt hat den wenige Tage alten Jungen nach der Übertragung der Vormundschaft durch das Gericht bei der Polizei als vermisst gemeldet. Die Fahndung nach dem Kind wird deshalb wieder aufgenommen.

Parallel versucht das Jugendamt, über das Auswärtige Amt Informationen zum Aufenthaltsort und dem Gesundheitszustand des Kindes zu erhalten. „Wir wollen wissen, ob es dem Kind gut geht“, bekräftigt Markus Schön.

Eine Fürsorge, die nicht alle dem Jugendamt abnehmen. So kursieren seit geraumer Zeit im Internet Videos, in denen unter dem Motto „Kinderklau des Jugendamtes“ gezielt Stimmung gegen die Arbeit der Behörden gemacht wird. Auch das Krefelder Jugendamt wird in den von zwei Privatpersonen ins Netz gestellten Beiträgen heftig kritisiert. In Interviews mit Eltern, denen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde, werden den Mitarbeitern des Jugendamtes Willkür und Lügen vorgeworfen.

„Unsere Rechtsabteilung hat die Videos überprüft. Leider haben wir keine Handhabe gegen die darin getätigten Aussagen und Anschuldigungen“, ärgert sich der Jugendamtsleiter, der schlussfolgert: „Es gibt immer mal wieder Personen, die das Jugendamt und insbesondere Entscheidungen im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdungen kritisieren.“ Dies sei aber kein reines Krefeld-Problem. „Im Mittelpunkt steht für uns stets das Wohl des jeweiligen Kindes, so dass wir als Jugendverwaltung einfach reagieren müssen, wenn entsprechende Meldungen bei uns eingehen. Wir legen ein besonderes Augenmerk darauf, breit und offensiv über die vielfältigen Aufgaben unseres Fachbereiches zu informieren. Denn Jugendhilfe ist vielfältig und einfach weitaus mehr als die Krisenintervention in Kinderschutzfällen“, sagt Markus Schön.

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