Interview Verdi-Chef kommt nach Krefeld: "Zeit für mehr Solidarität"

Frank Bsirske kommt am Sonntag nach Krefeld. Im WZ-Interview spricht der Verdi-Chef über Armut in Krefeld und Löhne.

Nicht eben berühmt für seine Zurückhaltung: Verdi-Chef Frank Bsirske will am Sonntag im Stadtgarten eine flammende Rede halten.

Nicht eben berühmt für seine Zurückhaltung: Verdi-Chef Frank Bsirske will am Sonntag im Stadtgarten eine flammende Rede halten.

Foto: dpa

Krefeld. Frank Bsirske ist der bekannteste Gewerkschaftsführer in der Bundesrepublik. Und einer der gefürchtetsten. Sonntag spricht der 64-Jährige am Tag der Arbeit im Krefelder Stadtgarten.

Verdi befindet sich mitten im Arbeitskampf, nach den zweitägigen Warnstreiks sitzen sich die Parteien in Potsdam gegenüber. Ein erster Erfolg: Man konnte sich auf eine neue Entgeltordnung einigen. In der Lohnrunde deutet sich keine Annäherung an. Verdi fordert sechs Prozent mehr für die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, Bund und Kommunen bieten drei Prozent. Das sind Welten. Aber Bsirske verrät, warum er trotzdem zuversichtlich ist, am Sonntag in Krefeld ein neues Tarifpaket präsentieren zu können.

Herr Bsirske, Ihr letzter Auftritt in Krefeld ist geplatzt. Kommen Sie am Sonntag?

Frank Bsirske: Ja natürlich — und ich freue mich auf Krefeld. Sie sind in der ganzen Republik unterwegs.

Bsirske: Krefeld ist aufgrund seiner geografischen Lage im Dreieck Niederlande, Belgien und Deutschland nicht umsonst als Logistikstandort gefragt. Hier gilt es, mehr qualifizierte und ordentlich bezahlte Jobs zu schaffen. Wo industrielle Arbeitsplätze verloren gegangen sind, kann der Dienstleistungssektor für Belebung sorgen. Andererseits ist es wichtig, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Dazu brauchen wir eine gute Infrastruktur. Unternehmen siedeln sich dort an, wo es gute Kitas und Schulen gibt, ordentlich bezahlte Arbeit und einen funktionstüchtigen öffentlichen Dienst.

Der 1. Mai fällt mitten in die Arbeitskämpfe bei Stahl und Elektro und im öffentlichen Dienst. Eine günstige Kombination?

Bsirske: Arbeitskämpfe werden geführt, um Verhandlungen und eine Tarifeinigung zu beschleunigen. Sie richten sich nicht nach Feiertagen. Natürlich werden wir bei der Demonstration zum 1. Mai die Tarifkonflikte im öffentlichen Dienst sowie bei Stahl und Elektro thematisieren. Und wenn die Arbeitgeber die Signale der Warnstreiks der letzten Tage richtig verstanden haben, können wir am Tag der Arbeit einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss vorlegen.

Wenn Sie am Sonntag im Stadtgarten auftreten, hat Krefeld den ersten Warnstreik hinter sich. Mit geschlossenen Kitas, verspäteten Bussen, eingeschränktem Service im Rathaus. Rechnen Sie mit Verständnis bei Ihrem Auditorium?

Bsirske: Es wird nicht nur Verständnis, sondern große Zustimmung geben. Die Bürgerinnen und Bürger wissen und erfahren doch jeden Tag, wie wichtig die Arbeit ihres öffentlichen Dienstes ist — ob in der Kita oder der Altenpflege, im Krankenhaus, durch einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr, im Ordnungsamt, bei Feuerwehr und Polizei oder bei der Betreuung von Flüchtlingen.

Verdi übertrifft mit Ihrer Forderung nach sechs Prozent mehr Gehalt sogar die traditionell diesbezüglich nicht zurückhaltenden Stahlkocher. Mit welcher Berechtigung?

Bsirske: Der Staat als Arbeitgeber muss konkurrenzfähig bleiben. Die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst liegen immer noch unter dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Wir wollen im Wettbewerb zwischen Industrie und öffentlichem Dienst die besten Fachkräfte gewinnen. Umso unverständlicher ist es, dass in einer Zeit mit den höchsten Haushaltsüberschüssen, die es jemals gab — wir reden von fast 30 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr — Bund und Kommunen ihren Beschäftigten einen Reallohnverlust zumuten wollen. Das verstehe, wer will. Wir schnüren diesmal ein Gesamtpaket: Dazu zählen neben Löhnen, Gehältern und Ausbildungsvergütung die Zukunft der betrieblichen Altersversorgung und die Entgeltordnung. Der Missbrauch bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen ist nicht nur bei jungen Menschen ein Ärgernis. Befristete Beschäftigung verhindert eine verlässliche Lebensplanung.

Ein No go sind darüber hinaus Leistungseinschränkungen bei der betrieblichen Altersvorsorge. Denn auf die Beschäftigten in Deutschland kommen millionenfache Altersarmut und weitere Senkungen des Rentenniveaus zu. Wir brauchen deshalb dringend einen Kurswechsel in der Rentenpolitik.

Aber nochmal: Angebote und Forderungen liegen weit auseinander. Wie lange wird der Arbeitskampf andauern?

Bsirske: Wenn die Arbeitgeber die Tarifverhandlungen nicht eskalieren lassen, können wir an diesem Wochenende ein Ergebnis vorlegen. Wir hatten ein Angebot mit Reallohnverlust. Darauf haben die Beschäftigten mit Arbeitsniederlegungen reagiert. Wenn dieses Signal verstanden wird, kann es gelingen, ein Gesamtpaket zu schnüren.

Wann ist aus Ihrer Erfahrung heraus die Schmerzgrenze für die Bevölkerung erreicht?

Bsirske: Wir haben schon in den vergangenen Arbeitskämpfen eine sehr große Unterstützung der Bevölkerung erfahren. Fast jeder hat doch in seinem Bekanntenkreis Menschen, die im öffentlichen Dienst tätig sind oder erfährt, wie wichtig diese Dienstleistungen sind. Die große Mehrheit hat Verständnis, dass die Beschäftigten nach einer Tarifrunde nicht mit einem Minus im Portemonnaie nach Hause kommen dürfen. Unsere Erfahrung ist: Je größer die Zustimmung der Bevölkerung, desto eher lenken die Arbeitgeber ein. Die merken schnell, wenn ihre Rechnung nicht aufgeht, die Bevölkerung gegen die Streikenden in Stellung zu bringen.

Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer Rede setzen?

Bsirske: Das große Thema, das uns alle angeht, ist die millionenfach drohende Altersarmut. Wir brauchen einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Das ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land. Darüber werde ich sprechen, ebenso wie über die Tatsache, dass 22 Prozent der Kinder in Krefeld auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Und über die Entwicklung des Mindestlohns, von dem derzeit mehrere Tausend Menschen in Krefeld profitieren. Es ist an der Zeit, mehr Solidarität in unserer Gesellschaft zu verankern.

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