Tödlicher Unfall am Klinikum: Betonwand war ungesichert

Bodenloser Leichtsinn bei den Abbrucharbeiten des alten Hochhauses, Baggerfahrer tot.

Krefeld. Mittwoch, 9.15 Uhr: Fassungslos steht der italienische Eigentümer des Hauses Lutherplatz 57 auf seinem Balkon und sieht, wie die 20 Meter hohe und gut sechs Meter breite Betonwand immer mehr Neigung bekommt und schließlich mit einem gewaltigen Knall zu Boden stürzt. Tonnenschwere Brocken fallen auf den in erster Reihe arbeitenden Abbruchbagger. Das Führerhaus wird zertrümmert, der 51 Jahre alte Fahrer so schwer verletzt, dass er während der Rettungsversuche durch Feuerwehrleute und Notarzt stirbt.

„Die Wand war nicht gesichert. Sie war schon vor dem Unglück nach vorn geneigt.“ Tonio D’Alessandro, der die seit Wochen dauernden Abbrucharbeiten am 51,30 Meter hohen alten Bettenhaus verfolgt, ist Handwerker und beinahe sprachlos ob des bodenlosen Leichtsinns, den das Abbruchunternehmen an den Tag gelegt hat. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Der Kollege des tödlich verunglückten Duisburgers — verheiratet, ein Kind — springt in Panik aus seinem Hitachi-Longfrontbagger mit Meißel am 60 Meter ausfahrbarem Arm, als die 30 Zentimeter starke Wand mit einem Gewicht von mindestens 60 Tonnen umkippt und die Häuser in der Nachbarschaft erzittern lässt. Er flüchtet mit einem Schock von der Unfallstelle, ist nicht mehr in der Lage, das Gerät zu führen. Karl-Heinz Mielke, Einsatzleiter der Berufsfeuerwehr, will ihn eigentlich in Anspruch nehmen, um Betonbrocken für die Bergung des Verunglückten anzuheben.

Fassungslosigkeit herrscht bei den Beschäftigen des Helios-Klinikums. Blitzschnell hat sich herumgesprochen, was in der Nähe des alten Klinik-Haupteinganges passiert ist. Geschäftsführer Reiner Micholka, zuständig für alle Helios-Baustellen bundesweit, versucht mit geringem Erfolg, Fotografen von ihrer Arbeit abzuhalten: „Keine Fotos“. Ein TV-Kameramann lässt sein Arbeitsgerät versehentlich auf einen Streifenwagen fallen — beides wird beschädigt.

Die Kriminalpolizei beschlagnahmt die Baustelle. Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsschutz in Mönchengladbach und die Staatliche Bauaufsicht — beide Behörden der Bezirksregierung in Düsseldorf — sind schnell vor Ort. Gestern Nachmittag teilt Polizeisprecher Wolfgang Weidner mit, dass beschlossen worden sei, keinen Gutachter einzuschalten: „Die Lage ist recht klar“. Deshalb wird die Baustelle noch am Nachmittag wieder freigegeben. Das Abbruchunternehmen, so Weidner, werde die Arbeit erst wieder nach Ostern aufnehmen. Es gibt noch viel zu tun: Noch über die Hälfte des alten Bettenhauses steht.

Am 7. März ist mit dem Abbruch des Klotzes aus 10 400 Kubikmetern Beton begonnen worden. Bereits vorher wurden alte Gebäude der einstigen städtischen Krankenanstalten plattgemacht. Fünf Bagger sind am Werk. In einer Mitteilung von Helios-Sprecherin Marina Dorsch vom ersten Abbruchtag heißt es wörtlich: „Der Rückbau des letzten Gebäudeabschnitts in Richtung Neubau/Operatives Zentrum (OPZ) erfolgt unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards in einem kombinierten Verfahren mittels Betonsägen, Abbruchrobotern und Kleingeräten.“ Für Großgerät galten diese Standards offenbar nicht.

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