Tiefgarage als Bunker: Nacktes Überleben in 28 Tagen

Die Tiefgarage unter dem Rathaus ist als Bunker konzipiert worden.

Krefeld. Fünf Meter unter dem Krefelder Rathaus drängen sich die Menschen zu Tausenden. Wo sonst Autos geparkt sind, sitzen sie auf Stühlen und Matratzen, dicht an dicht. Tagelang, nur bei Neonlicht. Ihre Notdurft verrichten sie in Plastikbeutel, auf einem Eimer sitzend.

Zähne putzen, ein bisschen Wasser auf die Haut, während die Menschen bereits in langen Warteschlangen hinter einem stehen, um endlich auch an die provisorischen Waschbecken zu kommen - ein reales Szenario vor 25 Jahren.

Denn damals, beim Bau der Tiefgarage, ist diese in großen Teilen als Bunker eingerichtet worden. 18 Millionen Mark ließ sich der Bund mit Blick auf den Kalten Krieg seinerzeit die Aufrüstung zum Schutzraum kosten, der 5000 Menschen das Überleben sichern sollte. Fünf Jahre später war die Bedrohung schon nicht mehr real, und 2002 galt er schließlich als nicht mehr erforderlich.

Der aufmerksame Autofahrer, der vom Westwall die Parkplätze unter dem Rathaus ansteuert, wundert sich heute vielleicht noch über die großen Wände, die an den Seiten der verschiedenen Zufahrten wie Fremdkörper wirken.

Doch die jeweils 17 Tonnen schweren verschiebbaren Tore aus Stahlbeton sollten Überleben sichern. "28 Tage lang, wie die andere Vorrichtungen in der Tiefgarage auch", sagt Hans Pöpperl, Teamleiter Zivilschutz bei der Feuerwehr. Mehreren bar Überdruck halten die massiven Elemente stand. Gut eine halbe Stunde dauert es, bis jede einzelne über eine hydraulische Handpumpe verschlossen ist. Sieben dieser überdimensionalen Türen gibt es in der Tiefgarage - ein ordentliches Stück Arbeit.

Pöpperl lässt keinen Zweifel daran, dass ein Aufenthalt im Schutzbunker nur das nackte Überleben sichern sollte: "Es wäre absolut primitiv gewesen. Die Menschen hätten sich für die Zeit ihr Essen mitbringen müssen. Nur Wasser gab es hier." Die Klapptanks dafür liegen heute noch unter einer der Tiefgaragen-Rampen: 33 sterile Behälter fassen jeweils 1000 Liter.

So einiges, was die 5000 Menschen damals auf zwei Parkebenen am Leben erhalten sollte, gibt es heute noch hinter unscheinbaren Türen. Zwei Tage wurden benötigt, um den Schutzraum einsatzbereit zu machen, eine Checkliste mit gut 1500 Punkten abgearbeitet werden. Ein Spezialteam des Technischen Hilfswerks hat das Jahr für Jahr geübt. "2001 das letzte Mal", erinnert sich Pöpperl, der als einziger bei der Stadt verblieben ist, der in Planung und Bau des Bunkers eingebunden war.

Deshalb kennt er ihn wie seine Westentasche. Legt hier den Hebel der Lüftungsanlage um oder deutet dort auf die Ösen in der Tiefgaragendecke, an der Vorhänge befestigt werden konnten - damit man wenigstens die Notdurft nicht unter den Augen aller anderen verrichten musste. Privatsphäre - Fehlanzeige.

Die Tiefgarage, im Behördendeutsch Mehrzweckanlage genannt, bietet heute den einzigen Schutzraum in Krefeld, der noch als solcher genutzt werden könnte. Die Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg würden sicherlich kaum helfen, denn schon nach wenigen Stunden wäre die Luft verbraucht.

Die Lüftungsanlage der Tiefgarage hat hingegen einen separaten Bereich, der vor vielen Gefahren schützt: Riesige Filter entziehen der verseuchten Luft chemische Schadstoffe, andere absorbieren radioaktive Partikel. Auch wenn die Umgebung brennt, können Schwebstoffe herausgefiltert und die Luft abgekühlt werden.

Die Technik dazu ist immer noch vorhanden und funktionsfähig. Selbst zwei große Notstromaggregate - Schiffsmotoren, für jede der beiden Etagen einer - mit jeweils 13000Liter fassendem Dieseltank und automatisch nachfüllendem Motoröl-Reservoir sind einsatzbereit. Auch für sie gilt: Nach 28Tagen autarkem Betrieb ist Schluss. Dann müsste entsorgt, gereinigt und getankt werden.

Man mag sich kaum ausmalen, wie die Stimmung hier unter der Erde schon nach kurzer Zeit - geschweige denn nach beinahe einem Monat - sein muss, wenn 5000 Menschen auf engstem Raum eingesperrt sind. "Aber dies gleicht durchaus den Situationen, die viele Krefelder in den Kriegsjahren in den Luftschutzbunkern erlebt und überlebt haben", sagt Hans Pöpperl.

Sie wären übrigens getreu dem Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" eingelassen worden. An drei Eingängen der Treppenhäuser finden sich kleine Fenster, die Bullaugen ähneln und eine Einlasskontrolle ermöglichen sollten. Per Handtaster wären die Menschen gezählt worden.

Wehe dem, der als Nummer 5001 in der langen Schlange vor dem Rathaus gestanden hätte: Nummer 5000 hätte vor seinen Augen die Außentür zuziehen müssen, die dann elektrisch verriegelt worden wäre. Die Anleitung dazu hängt heute noch an den luftdicht verschließbaren Metalltüren.

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