Flüchtlingsseelsorger Thomas Guntermann: „Ich kann mehr tun als ich gedacht habe“

Thomas Guntermann ist der neue Flüchtlingsseelsorger der katholischen Region Krefeld-Meerbusch.

Flüchtlingsseelsorger: Thomas Guntermann: „Ich kann mehr tun als ich gedacht habe“
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Die Umzugskartons hat er noch nicht auspacken können. Seit dem 1. August hat Thomas Guntermann einen Schreibtisch im Büro der Regionaldekane am Dionysiusplatz. Im Auftrag des Bistums untersuchte der 52-Jährige in den vergangenen Monaten, was in Krefeld von katholischer Seite in der Flüchtlingsarbeit getan werden könnte beziehungsweise müsste. Er ist der neue Seelsorger in der Flüchtlingsarbeit der katholischen Region Krefeld-Meerbusch. Im WZ-Interview erzählt er, warum die Flüchtlinge ihn brauchen.

Herr Guntermann, wie würden Sie Ihre Hauptaufgabe beschreiben?

Das Wichtigste für mich ist das, was ich Vermittlung nennen würde. Als Seelsorger vermittle ich zwischen den Menschen und in einer gewissen Weise auch zwischen den Menschen und Gott. Ich versuche zwischen den Flüchtlingen zu vermitteln, ob sie in einer Wohnung leben oder in einer Flüchtlingsunterkunft. Ich versuche, sie zu verstehen, lasse mir erzählen, was sie erzählen wollen, frage wenig nach. Für die städtischen Mitarbeiter vor Ort oder die Ehrenamtler bin ich Ansprechpartner. Sie können mich ansprechen, um für die Flüchtlinge oder auch für sich selbst Entlastung zu bekommen. Dabei gibt es keine Verpflichtungen, keinen Druck. Dass ich einfach da bin als Seelsorger, zum Beispiel in der Turnhalle, gehört dazu. Damit dokumentiere ich außerdem nicht nur etwas für die Flüchtlinge, sondern auch für alle anderen.

Was wäre das?

Ich zeige, dass ein Flüchtling, ob aus einem Krisengebiet oder vor dem Hunger geflohen, gleich viel wert ist, wie jeder andere Krefelder. Ich zeige den Flüchtlingen wie den anderen Krefeldern, dass diese Leute willkommen sind. Ich versuche bei vielen unterschiedlichen Aktivitäten zusammen mit anderen, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Menschen untereinander verstehen.

Ist das für Sie eine ökumenische Aufgabe?

Es ist egal, welcher Religion die Menschen angehören. Aber es ist ein schwieriges Thema. Man kann ja nicht sagen, Moslems und Christen sind gleich. Es gehört viel Respekt und Wissen dazu, um miteinander umzugehen. Niemand muss mit mir sprechen. Ich komme, ohne einen Zweck zu verfolgen. Allein, weil es dem christlichen Verständnis entspricht, für den anderen da zu sein. Dass das Gottes Wille ist, dem in Not, dem Fremden beizustehen, darin sind sich die großen Religionen Christentum, Judentum und Islam absolut einig. Und ein Seelsorger, der das tut, zeigt, dass es eben nicht nur um materielle Versorgung der Flüchtlinge geht.

Ist deshalb von katholischer Seite die Stelle eines Seelsorgers geschaffen worden?

Es gibt tatsächlich eine Sehnsucht, über Gott ins Gespräch zu kommen. Vielleicht würde der Einzelne dafür nicht in eine Moschee oder in eine Kirche gehen und einen Seelsorger aufsuchen. Aber ich bin einfach da. Beim ersten Sehen zum Beispiel in einer Unterkunft fragt mich vielleicht jemand, ob ich weiß, wo er etwas findet oder wo es etwas gibt. Beim zweiten Mal kommt er und erzählt von aktuellen Nöten und Sorgen und später spricht er vielleicht über tiefstes Leid und sein Ringen mit Gott.

Das heißt in der Konsequenz, sie müssen viel vor Ort sein?

Ich hab zwar ein Büro. Aber es wird sehr lange dauern, bis jemand kommt. Wenn, dann, weil er mich schon kennt. Andererseits muss ich auch strukturell arbeiten und kann nicht nur Seelsorger vor Ort sein. Ich muss, darf und möchte in meiner Funktion auch mit allen anderen arbeiten, die im Flüchtlingsbereich tätig sind, ob Stadt, Flüchtlingsrat, Caritasverband oder Gemeinden. Ich bewege mich in einem Spannungsfeld, und das ist noch zu gering ausgedrückt. Tatsächlich kann ich aber durch die strukturelle Arbeit für alle Flüchtlinge mehr tun als ich gedacht habe.

Ist ein Flüchtlingsseelsorger für Krefeld genug?

Dass ist das eine Sandkorn, das den Sandhügel zum Rutschen bringen kann. Mehr katholische Flüchtlingsseelsorger wird es in Krefeld nicht geben. Aber ich bin ja nicht alleine. Es sind ja so viele Menschen, Kollegen, die auch Flüchtlingen beistehen, so etwas wie Flüchtlingsseelsorger, ohne dass sie den Titel haben. Und außerdem gibt es viele engagierte, kompetente ehrenamtliche Krefelder, die den Fremden offen begegnen und sich liebevoll kümmern. Das finde ich sehr entlastend für mich.

Gibt es Momente, in denen Ihnen Ihr Job schwerfällt?

Was ich nur schwer ertragen kann, ist, wenn mit traumatisierten Menschen nicht angemessen umgegangen wird, wenn sie zum Beispiel genötigt werden, von ihrem Leid zu erzählen. Auch wenn ich jemandem nicht wirklich helfen kann oder selbst etwas nicht gut genug mache — das belastet mich.

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