Krefeld Telefonseelsorge: Zwischen Nähe und Distanz

60 Jahre gibt es die Telefonseelsorge in Deutschland. In Krefeld ist sie 48 Jahre alt. Der Bedarf an Gesprächen lässt nicht nach.

Krefeld: Telefonseelsorge: Zwischen Nähe und Distanz
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Eine Frau betritt ihre Wohnung. Wegen eines Autounfalls war sie lange im Krankenhaus. Bei dem Unfall hat sie ihren Ehemann und ihre Kinder verloren. Sie steht zum ersten Mal im Wohnzimmer. Alles ist so, wie sie es — noch gemeinsam — verlassen haben: Spielsachen liegen herum, in der Spülmaschine stehen vielleicht noch die Kaffeetassen vom letzten Frühstück als Familie. Die gesamte Wucht ihres Schicksalsschlags wird ihr bewusst. Sie greift zum Telefon und wählt. Am anderen Ende meldet sich Dieter Mokros.

„Das war einer der Anrufe, die mich am meisten berührt haben“, sagt der Leiter der Krefelder Telefonseelsorge. Da sei er auch erst einmal sprachlos gewesen. Lebenskrisen, Beziehungskrisen, psychische Erkrankungen — das seien die häufigsten Gründe für Menschen, bei der Telefonseelsorge anzurufen. Die deutsche Telefonseelsorge wird in diesem Jahr 60 — die Krefelder bringt es immerhin schon auf 48 Jahre. Der Bedarf nach Gesprächen sei ungebrochen. Etwa 40 Anrufe nehmen die Mitarbeiter pro Tag an. Tendenz steigend.

Annette Valentin ist Psychologin und arbeitet seit 25 Jahren bei der Telefonseelsorge. „Heute fällt es Menschen immer leichter, über ihre Probleme zu sprechen“, erklärt sie den Anstieg an Anrufern. Im anonymen Rahmen am Telefon sei das ohnehin leichter. Trotzdem suchten viele nach einem Gesprächspartner. „Manche Menschen haben niemanden, mit dem sie so etwas besprechen können. Oder sie wollen ihre Freunde und Familie nicht damit belasten“, sagt Valentin.

Die Mitarbeiter, die Anrufer dann am Telefon haben, sind meist ehrenamtlich im Einsatz. Etwa 70 davon gibt es in Krefeld. Die Jüngste ist 24, die älteste 76 Jahre alt. Sie können vor allem eines: gut zuhören. „Wichtig ist, wertfrei an die Dinge heranzugehen. Dann versuchen wir eine Beziehung zum Anrufer aufzubauen“, sagt Valentin. Durch intensive Aus- und Weiterbildung lernten sie außerdem, auch mit psychologischen Notsituationen umzugehen. Die Mitarbeiter brächten aber auch viel von sich selbst ein. „Die meisten arbeiten Kraft ihrer Persönlichkeit“, sagt Mokros.

Sie gingen mit großer Motivation in ihre Schicht und hätten eine große Bereitschaft, sich auf andere einzulassen. Wichtig sei dabei aber immer eine professionelle Distanz zu halten. „Für die eigene Psycho-Hygiene“, sagt Valentin. Bei Übergabegesprächen zwischen den Schichten und regelmäßiger Supervision werde den Mitarbeitern geholfen, das Gehörte nicht mit nach Hause zu nehmen. Die Gespräche liefen immer unterschiedlich ab.

„Manchmal beginnt ein Gespräch einfach mit Weinen, Seufzen, manchmal aggressiv, manchmal auch mit Schweigen“, sagt Mokros. Manche riefen auch regelmäßig an. Der Kontakt mit den, für sie gesichtslosen, Menschen am anderen Ende der Leitung sei für sie ein Teil des Lebensalltags geworden. Die Telefonseelsorge schafft gewissermaßen einen Spagat zwischen Nähe und Distanz. „Die Leute suchen nach Nähe, vertrauen sich uns aber auch an, weil sie durch die Anonymität keine Angst vor Stigmatisierung haben müssen“, sagt Mokros. Stigmatisierung sei auch ein Problem der Frau gewesen, die anrief, als sie zum ersten Mal alleine ihre Wohnung betrat. Freunde hätten sich von ihr abgewendet — sie hätten nicht gewusst, was sie ihr sagen sollen und deswegen Abstand genommen, das Problem weggeschoben.

Was Dieter Mokros ihr gesagt hat? „Ich war ehrlich. Ich habe meine Sprachlosigkeit offen angesprochen“, erinnert er sich. Das sei oft der richtige Weg: authentisch bleiben.

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