Suizid: Tod als einziger Ausweg

Die Versuche, sich selbst das Leben zu nehmen, steigen bei Kindern und Jugendlichen.

Krefeld. Kurz vor ihrem geplanten Selbstmord vertraut sie sich einer Mitschülerin an: "Ich ertrage es nicht mehr. So kann ich nicht leben." Im Tod sieht die Vierzehnjährige den einzigen Ausweg aus ihren seelischen Schmerzen. Lena (Name geändert) öffnet das Fenster ihres Kinderzimmers im oberen Stock eines Wohnhauses, steigt aufs Sims. Und springt. So geschehen vor wenigen Tagen in Krefeld.

Selbstmorde sind bei Kindern und Jugendlichen die zweithäufigste Todesursache - nach dem Unfalltod. Und manchmal ist diese Grenze auch nicht so eindeutig zu ziehen: "Kinder machen sich über die Unwiderruflichkeit des Todes keine Vorstellung. Sie unter- oder überschätzen häufiger als Erwachsene die Mittel, die zum Tode führen können. So gibt es tödliche Unfälle, die Selbstmordversuche sein sollten", weiß Notfall-Psychotherapeut Jürgen Schramm, früherer Leiter der Krefelder Telefonseelsorge.

"Viele Kinder wollen gar nicht tot sein, nur so nicht weiterleben", sagt Schramm. "Das sind dann keine Bilanz-Suizide, sondern Kommunikationsversuche, Hilferufe." So wie bei Lena? Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem die Schülerin von Hänseleien und Ausgrenzung in der Schule berichtet, weil sie zu dick sei. "Es sind oft Äußerlichkeiten wie Hasenzähne oder die falschen Schuhe, die einen zum Mobbingopfer machen", sagt Claudia Schlicht. Seit drei Jahren ist sie Psychologin an der Comeniusschule, beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Gewalt unter Schülern - und Gewalt gegen sich selbst.

"Die Suizidversuche unter Kindern und Jugendlichen haben deutlich zugenommen", sagt Schramm. Wer nicht die Kraft habe, sich zu wehren, richte oft Aggressionen gegen sich selbst. "Man schämt sich, Ohnmacht und Hilflosigkeit nehmen zu, es kommen Gedanken wie: Die anderen werden schon einen Grund haben", sagt Schlicht, die zwei Selbsttötungs-Versuche allein an ihrer Schule schon erlebt hat.

"Ich habe Todes-Phantasien schon von Zehnjährigen erfahren", sagt Schlicht. Suizide sind selten Kurzschlusshandlungen. Auf den Gedanken folgen Erwägung, Abwägung, schließlich der Entschluss. "In dieser Phase kann der Jugendliche sogar sehr zufrieden und normal wirken. Das Umfeld denkt, er ist über den Berg. Dabei hat er nur endlich für sich Klarheit über das Wann, Wo und Wie."

Die Frage der betroffenen Eltern nach dem "Warum" bleibt dagegen oft unbeantwortet. Nur zehn Prozent der Kinder hinterlassen Briefe. Schramm: "Zudem muss zwischen Ursache und Auslöser wie einer Sechs in Mathe unterschieden werden."Ursachen für einen Suizid oder den Versuch können tiefgreifende Störungen der Familienverhältnisse, seelische Erkrankungen, Misshandlung oder andere Traumata sein.

Anzeichen Gezielte Suiziddrohungen, Schule schwänzen, Ess- und Magersucht, Interessenlosigkeit, Abbrechen von Freundschaften, Schule schwänzen, Kinderzeichnungen mit Särgen, Kreuzen, blutigen Messern, Persönlichkeitsveränderung

Hilfe Rat und Unterstützung gibt es bei der Krefelder Krisenhilfe, beim schulpsychologischen Dienst, der Trauma-Ambulanz im Alexianer-Krankenhaus, Jugendtelefon

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