Stadtverwaltungsgebäude in Venlo: Hier ist Grün mehr als eine Farbe

Das neue Stadtverwaltungsgebäude in Krefelds Partnerstadt Venlo setzt in Sachen Nachhaltigkeit weltweite Maßstäbe.

Vor acht Jahren war es eine vage Idee, aber ein umso größerer Traum: „Ich möchte meine Stadt besser machen.“ Heute ist das ein Stück Wirklichkeit, glaubt Michel Weijers, sein Traum hat sichtbar Form angenommen. Wer mit dem Auto über den Krefeldseweg in die niederländische Partnerstadt Venlo und weiter über die Maas fährt, kommt nicht vorbei an Michel Weijers Baby, einem begrünten Gebäude mit meterhohen Glasfassaden, in dem man wohl eher ein Gewächshaus als ein Verwaltungsgebäude vermuten würde. Sieben Jahre sind seit der Planung bis zur Umsetzung vergangen; vor gut einem Jahr sind die 800 städtischen Mitarbeiter der Gemeinde Venlo in ihren neuen Stadskantoor gezogen. Eins ist gewiss: Hier ist wirklich alles anders als davor.

Besser, davon ist Stadtplaner Michel Weijers überzeugt. Gesünder, umweltschonender, am Ende sogar kostengünstiger — besonders nachhaltig eben — soll das neue Vorzeige-Stadtverwaltungsgebäude sein. Als eines der ersten Gebäude weltweit ist es nach dem „Cradle-to-Cradle-Prinzip“ (C2C) gebaut, wurde für seine Nachhaltigkeit schon in New York ausgezeichnet. Übersetzt bedeutet C2C so viel wie „von der Wiege zur Wiege“ und beschreibt die sichere und — zumindest in der Theorie — unendliche Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen. „Das Gebäude wurde nicht nur nachhaltig — sprich ,weniger schlecht’ — konzipiert, sondern leistet auch einen positiven Beitrag für Mensch, Umwelt und Wirtschaft“, heißt es verheißungsvoll im Flyer zum neuen Venloer Stadskantoor. Wem das zu schwammig ist, auch kein Problem — „das Gebäude erzählt die Geschichte“, versichert Weijers.

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Blick nach Venlo

Mit einem Verwaltungsbunker hat das zehnstöckige moderne Hochhaus nun wirklich nichts gemein. Hier wird C2C für Besucher Realität: „Abfall ist Nahrung“ ist einer der Leitsätze von „Cradle to Cradle“, erklärt Weijers, und deshalb waren die grauen Teppichböden in ihrem vorherigen Leben mal Cola-Flaschen. Zu den weiteren Prinzipien der „neuen Kreislaufwirtschaft“ gehöre es, „technische und biologische Abläufe ohne Qualitätsverlust zu gewährleisten, Diversität zu unterstützen und gesund zu sein“, zählt der Stadtplaner auf. Auf dem Dach produzieren Solarzellen Strom und Wärme für das Gebäude, „60 Prozent stemmen wir aus Eigenleistung“, gleichzeitig dienen sie als Sonnenschutz. „Im Gewächshaus ernten wir Wärme und Kälte“, gleichzeitig reinigt es gemeinsam mit dem „vertikalen Garten“, wie Weijers die Bepflanzung an der Gebäudefassade nennt, die Luft. Das belegen Zahlen: „Die grünen Wände sorgen für 30 Prozent weniger Feinstaub in einem Umkreis von 500 Metern — und das Gebäude liegt an einer dicht befahrenen Straße und nicht mitten im Wald“, darauf ist der Stadtplaner stolz. Zurecht. Ein Gebäude, das die Luft säubert, hat nicht jede Stadt. Im Gegenteil: „Die meisten Häuser werden immer noch kaputt isoliert“, erklärt Weijers. Die Folge: „Die Luftqualität ist drinnen oft zehn Mal schlechter als draußen.“

Wir bleiben drinnen: Die Holztreppen, über die die Mitarbeiter von Etage zu Etage durch das Gebäude laufen, sind deshalb nicht mit chemischen Substanzen, sondern Leinsamenöl versiegelt; die Schreibtische nur mit einer Essiglösung behandelt. Gesund statt giftig, so lautet das Credo. Daraus, dass das Holz für die Möbel von Gummibaum-Plantagen in Indonesien stammt und direkt über die Maas mit dem Schiff angeliefert wird — Minuspunkte in Sachen CO2-Emission — macht Weijers gar nicht erst ein Geheimnis. „Cradle to Cradle bedeutet auch, Schlechtes weniger schlecht zu machen.“ Die Plantagen in Indonesien werden abgeholzt und anschließend abgebrannt — die Nebenwirkungen der qualmverpesteten Luft sind oft sogar im weit entfernten Singapur noch zu spüren. „Wir haben eine Plantage gekauft und können so sicherstellen, dass zumindest dort nicht mehr abgefackelt wird“, erklärt Weijers.

Auch das Beton-Fundament der Stadtverwaltung ist unbehandelt und frei von Giftstoffen. „Wir haben uns bei allen Materialien gefragt: Woher kommen sie? Was ist drin? Und gibt es einen Restwert — kann ich sie wiederverwenden?“ Schon vor dem Bau des 53 Millionen-Gebäudes habe es einen Abrissplan gegeben. Unter den zieht Weijers eine positive Bilanz: „Wir haben Pfand auf unsere Stühle und Teppiche, viele Materialien haben einen Restwert. Fünf Prozent der Investition bekommen wir definitiv zurück, so verdienen wir durch das Gebäude sogar Geld.“

Auch mithilfe gesünderer Mitarbeiter erhofft die Stadt Venlo sich am Ende eines Jahres vollere Kassen. „Wenn nur ein Prozent unserer Mitarbeiter durch sauberere Luft weniger krank wird, machen wir so im Jahr 600 000 Euro Gewinn“, rechnet der Stadtplaner vor. Die Unis Maastricht und Aachen suchen jetzt wissenschaftliche Nachweise, ob die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Venlo tatsächlich gesünder sind und dadurch produktiver arbeiten.

Apropos arbeiten: In schlichter skandinavischer Möbelhaus-Atmosphäre sind Working-Stations und Sitzsäcke auf den einzelnen Etagen verteilt. Einen eigenen Schreibtisch mit Glücksbringer und Familienfotos? Gibt es nicht mehr. Genauso wenig wie Papier. „Wir arbeiten hier ausschließlich digital.“ Für viele Mitarbeiter der Stadt sei das noch immer eine Umstellung, gesteht Weijers. „Andere kommen jetzt aus Amsterdam oder dem Ruhrgebiet nach Venlo, weil sie unbedingt hier arbeiten wollen.“

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