Stunde Null: Stadtteile am Rhein gerieten unter Beschuss

Für mehr als einen Monat mussten 20 000 Krefelder ihre Häuser verlassen und im Westen Unterschlupft finden.

Stunde Null: Stadtteile am Rhein gerieten unter Beschuss
Foto: DJ

Krefeld. Für einen großen Teil der Bevölkerung der Stadt war der Krieg vor 70 Jahren noch nicht endgültig zu Ende. Ab dem 19. März 1945 mussten rund 20 000 Bewohner der östlich gelegenen Stadtteile ihre Häuser, Wohnungen oder Notquartiere verlassen. Die Militärregierung hatte die Evakuierung veranlasst.

Der Hintergrund dafür ist meistens nur sehr verschwommen bekannt. In den Erinnerungen von Stadtarchivar Carl Müller ist darüber zu lesen, dass „von der rechten Rheinseite durch deutsche Truppen eine planmäßige Beschießung von Uerdingen, Gellep-Stratum, Linn und Bockum durch Artillerie und durch vereinzelte Flieger einsetzt, so dass diese Stadtteile vom 19. März bis zum 20. April auf Befehl der Militärverwaltung geräumt werden mussten.“

Der Fischelner Schulleiter und zeitweise Verwaltungschef Fritz Heckmanns schrieb über die Folgen für seinen Stadtteil: „Rund 4000 Lanker wurden in Fischeln mit ihrem Vieh untergebracht. Das Unmögliche gelang. Bürgermeister van Beeck wohnte bei Frentzen, der Pastor bei Tappert, Richard van Daven bei mir in der Schule.“

Drei Tage waren für die Zeit der Evakuierung vorgesehen. Mehr als einen Monat aber dauerte der Aufenthalt. Ab 23. April begann die Heimkehr. Für die Bevölkerung des Aufnahmegebiets war die Zeit eine prachtvolle Bewährung der Hilfsbereitschaft und der Brüderlichkeit. Für die „Flüchtlinge“ eine Zeit härtester Prüfung, vor allem die Rückkehr in die fürchterlich zugerichteten Heime, denn die Truppen hatten sich in den geräumten Orten wie „ìm Felde“ gefühlt und benommen. Im Linner Museum wurden außer den Schränken und Tischen die beiden feuerfesten Geldschränke gesprengt.“

In ihrem Buch „Lucky Strikes und Hamsterfahrten“ schildert Elisabeth Kremers den Elendszug der vorwiegend Alten, Frauen und Kinder: „Die Menschen versuchten mit Lastwagen, auf Fahrrädern oder mit Handkarren so viel persönliches Gut wie möglich zu retten. Ihr Auszug aus der Stadt machte fast den Eindruck einer Völkerwanderung, der dadurch erschwert wurde, dass ein großer Teil der Straßen erhebliche Schäden aufwies.“

Die Autorin führt als anderen Grund für die Evakuierung den Aufbau der Rheinfront der amerikanischen Truppen an: „Damit sollten zum einen die deutschen Truppen auf der anderen Rheinseite über den Ort des Rheinübergangs (der Amerikaner) im Unklaren gelassen und zum anderen sollten rasche Truppenbewegungen in der menschenleeren Zone ermöglicht werden.“ Am 24. März überschritten die US-Truppen nördlich von Krefeld im Raum Rees-Wesel mit 10 000 Flugzeugen und Luftlandeverbänden den Rhein.

Auch der ehemalige Dezernent Hans Vogt kommt in der Stadtgeschichte zu dem Schluss, dass nicht der Schutz der Bevölkerung sondern ein Täuschungsmanöver der Amerikaner zur Evakuierung führte. Er schildert dort den Elendstreck nach Westen, „um dort auf gut Glück Unterkunft bei Verwandten und Bekannten zu finden. Eine Organisation oder Lenkung gab es nicht.“

Der entsprechende Befehl der Militärregierung umriss das betroffene Gebiet: „Von Rheinhausen südwestlich durch Rumeln, Kaldenhausen bis Haus Rath, von dort scharf südlich durch Sollbrüggen, Kuhleshütte bis Grundend; von dort weiter in südöstlicher Richtung an dem Bahnkörper der Bahngesellschaft entlang.“ Abschließend hieß es: „Zivilpersonen, welche diesem Befehle nicht nachkommen, werden hart bestraft.“

Der amtierende Bürgermeister Johannes Stepkes hatte bereits am 16. März zur Solidarität mit den Evakuierten aufgerufen: „Ich erwarte, dass alle Krefelder Familien unsere Mitbürger mit gleicher Liebe und Sorgfalt aufnehmen, mit welcher sie selbst im ähnlichen Falle aufgenommen zu werden wünschen.“

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