Die Geschichte hinter dem Bild an der Brotfabrik

Richard Hütter malte das ursprüngliche Werbeplakat. Er starb im KZ. Seine Nichte Therese Spielhagen erinnert sich.

Krefeld. Es ist ein verschmitzter, blonder, ein wenig pummeliger Junge in einem rotweiß-karierten Hemd und einer schwarzen Jacke, der auch heute noch Therese Spielhagens Erinnerungen weckt, wenn sie über die Ritterstraße geht. Das Porträt des blonden Jungen hängt an der alten Brotfabrik „Im Brahm“. „Es war in der Nachkriegszeit. Immer, wenn ich dort an der Hand meiner Tante vorbeigegangen bin, hat sie mir die Geschichte erzählt.“

Die Geschichte, die die 72-jährige Therese Spielhagen meint, beginnt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Hitler war schon an der Macht, als ein Krefelder Schildermaler an die Brotfabrik eine Werbung mit einem blonden, pummeligen Jungen malte. Ob es dieses Kind wirklich gab oder ob es der Fantasie des Malers entsprungen ist, das weiß Spielhagen nicht. „Durch Zufall lernten sich der Schildermaler und meine Tante Maria kennen, denn sie hat direkt gegenüber bei Konsum Niederrhein gearbeitet“, erzählt sie. „Und wie das dann so ist, haben sich die beiden verliebt und geheiratet.“

Spielhagens Tante wurde zu Maria Hütter und zusammen mit ihrem Ehemann Richard bekam sie ihr erstes Kind. „Aber mein Onkel war Kommunist, und irgendwann beschloss er, sich gegen die Nazis zu wehren. In einer Gartensiedlung am Glockenspitz unterkellerte er eine alte Hütte.“ Zusammen mit weiteren Kommunisten druckte er dort heimlich Flugblätter mit Parolen gegen Hitler.

Aber irgendwann stürmte die Gestapo das Gartenhaus. „Meine Tante hat immer nur gesagt ‚die Gestapo kam’. Wer genau meinen Onkel verraten hat, das wissen wir nicht, aber wahrscheinlich hat jemand das Geklapper der Druckmaschine gehört.“

Der Onkel von Therese Spielhagen kam in das Konzentrationslager Börgermoor, das in der Nähe von Papenburg liegt und eines der ersten Lager für Strafgefangene war. Noch drei Mal durfte Spielhagens Tante Maria ihren Ehemann dort besuchen. „Sie hat mir erzählt, dass er damals schon sehr abgemagert und dünn war, aber immer gesagt hat, dass es ihm gut gehe und dass sie sich keine Sorgen machen müsse.“

Als Maria das dritte Mal zu ihrem Mann fuhr, sagte ihr ein Aufseher, dass er tot sei. „Angeblich war es eine Lungenentzündung,“ erzählt Spielhagen. „Aber wer weiß das schon?“ Von jetzt an ändert sich alles im Leben der kleinen Familie: Maria war mit dem gemeinsamen zweiten Kind schwanger. Hinzu kam: Sie und ihre Schwester waren Halbjüdinnen, der Vater war Sozialdemokrat, Marias Schwester allerdings mit einem Nationalsozialisten verheiratet. „Auch wenn Maria nach dem Krieg eine hohe finanzielle Abfindung bekommen hat, wurde sie nie wieder richtig glücklich. Ihr zweites Kind hat seinen Vater nie kennengelernt.“

Ein Trost für Maria sei vielleicht gewesen, dass der Vater das künstlerische Talent an seine Familie weitergegeben habe. Spielhagens Cousine Annemi hat Lampenschirme gefertigt, der Sohn ihrer Schwester ist als Herr Buchta bekannt, ein Krefelder Künstler und Fotograf.

Wenn heute jemand Therese Spielhagen fragt, ob ihr Onkel Richard Hütter vor fast 80 Jahren richtig gehandelt hat, dann antwortet sie: „Mein Onkel war ein mutiger Mann, weil er seine Ideen vertreten und zu ihnen gestanden hat. Aber auf der anderen Seite wäre es vielleicht besser gewesen, wenn er bei seiner Familie geblieben wäre.“

Als Kommunist im Kampf gegen die Nationalsozialisten ist Richard Hütter keine 40 Jahre alt geworden.

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