Judo in Fischeln: Der sanfte Weg macht alle zu Siegern

Seit zehn Jahren wird im Judoclub Fischeln der Kampfsport aus Japan trainiert. Auch eine Gruppe für Menschen mit geistiger Behinderung ist fester Bestandteil des Vereins.

Krefeld-Fischeln. Mit vor Aufregung leicht zittrigen Fingern nestelt Michael an dem Gürtel seines Gi. Es erfordert eine spezielle Technik und damit Konzentration, um den traditionellen Übungsanzug des Judosports so zu verschnüren, dass er fest am Körper sitzt und nicht verrutscht.

Immer freitags trainieren Michael Lena, Laura, Andreas und Madita zusammen beim Judoclub Fischeln (JCF) — sie alle sind zwischen 16 und 19 Jahren und haben Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom.

Eine Stunde ist wenig Zeit, und so hocken die jungen Judokas bald auf den Übungsmatten, den Tatami, ihrem Trainer gegenüber und verbeugen sich. „Indem sie sich voreinander verbeugen, zeigen sich Schüler und Meister gegenseitig Respekt — für einen Moment besteht kein Unterschied“, beschreibt Georg Karmann die Tradition des alten Kampfsportrituals.

Der 55-jährige Karmann ist der Sensei, so die japanische Bezeichnung für den Meister, und einer der Mitbegründer des JCF. Gemeinsam mit einigen anderen Krefelder Judokas hat er vor zehn Jahren den Verein ins Leben gerufen. „Wir waren alle so begeistert von dem Sport und wollten die schönen Erfahrungen weiter- und zurückgeben, die wir in unserer Jugend mit dem Judosport gemacht haben“, sagt Karmann rückblickend. Außerdem ist er selbst Vater eines Kindes mit Down-Syndrom — die Integration von Menschen mit Behinderung ist ihm von Anfang ein wichtiges Anliegen.

Nach der Begrüßung und einem kurzen Aufwärmen mit dem Medizinball geht es los: Ukemi-waza, die Falltechniken des Judo, werden geübt — Trainer Karmann stellt dafür, auf Händen und Knien hockend, das Hindernis dar. Die Schüler stehen vor ihm und rollen mit seiner Hilfe über Karmanns Rücken ab.

Michael ist hoch motiviert und nimmt sogar einige Schritte Anlauf — Trainer Karmann hält es tapfer aus. „Das Schönste am Judo ist für mich das Kämpfen“, sagt Michael nach der Übung außer Atem. In seiner Familie teilt er sich die Begeisterung für den Kampfsport mit Vater und Bruder. Michael möchte sich heute von seiner besten Seite zeigen, weil ein Zuschauer zu Besuch ist.

Die jungen Männer und Frauen haben sichtbar Spaß an den Übungen. Da nicht alle in der Gruppe sprechen können, kommt es zwischendurch auch immer wieder zum Austausch über sanfte Berührungen. „Wir setzen die Techniken zwar möglichst so wie in einer normalen Judogruppe um“, erklärt Georg Karmann. „Dabei geht es hier aber nicht darum, wer der Beste ist und wie schnell man die nächste Gürtelfarbe erreicht. Unsere Fortschritte brauchen Zeit und stellen sich langsam ein, aber die Bewegung und der Körperkontakt tut den Schülern gut.“

Jetzt übt die Gruppe das Kämpfen: Beim Kesa-Gatame geht es um Haltetechniken. Ein Kämpfer hält fest, der andere versucht sich zu befreien. Lena wird vom Meister aufgerufen — ihr Gegner ist Michael.

Obwohl er mit Abstand der wendigste Judoka der Gruppe ist und stolz darauf, schon fast zehn Jahre dabei zu sein, setzt er seine Überlegenheit sehr rücksichtsvoll ein — Frust kommt fast nie auf, und nach jeder Einheit lösen sich die Kontrahenten mit einer kurzen Verbeugung voneinander.

Als Unterstützung für Karmann und Helferin für die Mädchen ist auch Marijke Brüsch seit einem Jahr freitags in der Gymnastikhalle der Freiherr-vom-Stein-Schule dabei. Als Ruheständlerin engagiert sie sich ehrenamtlich im Verein und hat schnell das Vertrauen der Judokas gewonnen.

Mit lobenden Worten, aber mitunter auch strengen Ermahnungen motivieren Brüsch und Karmann ihre Schützlinge, als der sportliche Ehrgeiz nach der Hälfte des Trainings einmal kurz zu erlahmen droht. „Wer zeigt mit mir noch den O-soto-gari?“, ruft Karmann in die Runde. Und die Aussicht, den Trainer mit dieser Fußtechnik aus dem Stand auf die Matte schicken zu dürfen, sorgt noch einmal für Elan.

Michael ist der erste, der den Meister am Gi-Kragen packt und ihm dann mit dem Fuß sein rechtes Bein wegzieht. Mit lautem Krachen und unter dem Jubel der Schüler geht Georg Karmann zu Boden — langsam sieht man auch dem Schwarzgurt die Anstrengung an.

Als die ersten Eltern im Vorraum zu hören sind, beugen die Schüler und ihre Meister eben zum Abschiedsgruß die Häupter. Die Mutter von Laura schaut heimlich herein. „Die Kinder haben Spaß und sind begeistert vom Judo“, sagt sie. Zweimal im Jahr präsentieren alle Gruppen im Verein auf Festen ihr Können. Alle Eltern und viele Freunde sind dann dabei. Ein Grund mehr, am nächsten Freitag wieder zum Training zu kommen.

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