Krefeld DGB-Chef Einfalt im Interview: „Siemens macht mir Sorgen!“

Krefelds neuer DGB-Chef Philipp Einfalt spricht im WZ-Interview über die Aufgabe von Gewerkschaft, Schulsozialarbeit und andere Dingen.

Krefeld: DGB-Chef Einfalt im Interview: „Siemens macht mir Sorgen!“
Foto: Jochmann

Krefeld. Philipp Einfalt ist Ur-Krefelder, verheiratet, 46 Jahre alt und seit kurzem Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Krefeld. Eine vielfältige Aufgabe für den Mann, der selbst eigentlich Vielfalt statt Einfalt heißen müsste. Nach einer Zeit am Gymnasium am Stadtpark nahm Einfalt über die Ter-Meer-Realschule einen Umweg zum Abi am Fabritianum. Dem Studium der Herpetologie, ein Teilgebiet der Zoologie, ließ der Schlangenfreund ein weiteres in Sonderpädagogik folgen. Seine 20-jährige Laufbahn bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mündet für den Lehrer nun im Vorsitz des DGB. Einfalt will Akzente setzen. Wie, das verrät er im Interview mit der WZ.

DGB-Vorsitzender nach dem allgegenwärtigen Ralf Köpke. Große Fußstapfen?

Philipp Einfalt: Ralf Köpke hat 16 Jahre die Geschicke des DGB gelenkt und sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Krefeld eingesetzt. Ich fühle mich über das Vertrauen der Gewerkschaften im DGB geehrt, seine Nachfolge antreten zu dürfen. Rund 15 400 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der acht Gewerkschaften umfassenden DGB-Familie in Krefeld organisiert. Eine große Aufgabe wartet auf mich.

Welches ist ihr vordringlichstes Thema?

Einfalt: Bildung von Anfang an! Dabei darf der Bildungserfolg nicht vom familiären Bildungshintergrund, der Herkunft oder dem Geschlecht einer Person abhängen. Denn nur gute Bildung ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe. Kinder besuchen regelmäßig die Kita, die Schule, erreichen einen Schulabschluss und finden einen Ausbildungsplatz, Studienplatz oder eine für sie geeignete Beschäftigung, um eine bessere Teilhabe zur erreichen und im Bedarfsfall den Armutskreislauf zu durchbrechen. Nur so werden sich unsere Wirtschaft sowie die sozialen und politischen Bedingungen in unserer Stadt in unserem Land erfolgreich und nachhaltig entwickeln. Gelingt es nicht, allen Menschen die bestmögliche Bildung zukommen zu lassen, können sich Einzelne abgehängt fühlen und Populisten gewinnen an Zustimmung. Außerdem kann der Mangel an Fachkräften in Wirtschaft und Verwaltung zu einer Wachstumsbremse werden.

Sie beklagten zuletzt die hohe Anzahl der Langzeitarbeitslosen in Krefeld. Was ist zu tun?

Einfalt: Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Förderung des sozialen Arbeitsmarktes beschlossen. Bundesweit sollen 150 000 Plätze und jährlich eine Milliarde Euro bereitgestellt werden. Die zusätzlichen Arbeitsstellen müssen weder im öffentlichen Interesse noch wettbewerbsneutral sein. Entsprechend können die öffentlich geförderten Beschäftigungsangebote bei privaten Arbeitgebern, bei den Kommunen und im öffentlichen Sektor entstehen. Das Arbeitsverhältnis entsteht durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ist tariflich bezahlt und unbefristet. Es gibt Qualifizierungs- und Coachingangebote. In Krefeld arbeiten viele Menschen seit Jahren an der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Unter Einbeziehung dieser Expertisen ist vielleicht ein Stufenmodell, das die Menschen dort abholt, wo sie stehen, zu etablieren.

Auf der anderen Seite gibt es zu wenig Fachkräfte. Was müssen die Stadt und Politik tun?

Einfalt: Ausbilden, Qualifizieren, Arbeitslose qualifizieren, Zugewanderte qualifizieren, sozialen Arbeitsmarkt schaffen, ausländische Qualifikationen einfacher anerkennen, Fachkräfte nach Krefeld holen . . . Das Thema ist komplex. Viel wird zu dieser Thematik in unserer Stadt unternommen. Politik und Stadt sollten vermehrt und vielleicht strukturell überarbeitet eine gemeinsame Krefelder Strategie verfolgen. Weiterhin darauf hinwirken, dass die Stadt attraktiv ist und bleibt — gute Straßen, guter Geschäftemix, ÖPNV ausbauen und günstiger gestalten, attraktive Innenstadt und Stadtteile, bezahlbarer Wohnraum, gute Schulen und Kitas mit gutem Ganztag.

Sie selbst sind Lehrer. Was läuft falsch in der Schulsozialarbeit?

Einfalt: Definitiv falsch läuft, dass Krefelder Schulsozialarbeiter, teilweise seit einigen Jahren, immer noch befristete Arbeitsverträge haben. Die Finanzierung der Schulsozialarbeit muss dauerhaft gesichert werden. Schule kann sich nicht nur als Lernort begreifen, sondern muss sich verstärkt auch um Erziehungsaufgaben kümmern. Damit ist grundsätzlich Schulsozialarbeit an jeder Schulform unabdingbar und soll systematisch ausgebaut werden, damit eine professionell etablierte Vernetzung von Schule und Jugendhilfe gelingen kann. Dies eröffnet wichtige Chancen besonders für Kinder und Jugendliche, die häufig zu den Verlierern des Bildungssystems zählen. Schulsozialarbeit fördert die soziale und individuelle Entwicklung, sie trägt dazu bei, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen, sie berät Lehrkräfte und Eltern in Erziehungsfragen und sie trägt dazu bei, positive Lebensbedingungen zu erhalten und zu schaffen.

Ich würde Ihnen gern einige Stichworte zuwerfen. Was fällt Ihnen ein zu... Siempelkamp?

Einfalt: Das Geschäft läuft scheinbar gut, es wird weiter investiert. Mich treibt die Frage um, ob sich Siempelkamp an die eigene Aussage hält, auch weiterhin Ausbildungsplätze zu schaffen — vielleicht sogar mehr anzubieten? Werden nun nach dem Arbeitsplatzdesaster in 2016 neue Arbeitsplätze in Krefeld geschaffen? Siempelkamp hat eine Verantwortung für Krefeld.

Siemens?

Einfalt: Bereitet mir Sorge, obgleich für die ersten vier Jahren nach der Fusion weitreichende Standort- und Arbeitsplatzsicherungen zugesagt wurden und sich an den Beschäftigungsbedingungen nichts ändern soll. Wie wird Mitbestimmung aussehen, wenn die Konzernzentrale im Ausland angesiedelt ist? Welche Probleme entstehen durch die Ausgliederung Zugwerk in eine neue Gesellschaft? 351 Jobs wurden abgebaut — was wird mittelfristig folgen?

Fressnapf?

Einfalt: Die Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaft Verdi werden in aller Vorsicht im Sinne der Beschäftigten Sondierungen vornehmen, um die Gründung eines unabhängigen Betriebsrates zu ermöglichen. Wir werden die Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen.

Schulz?

Einfalt: Es stellt sich mir weiterhin die Frage, ob die jüngsten Kündigungen bei der Firma Schulz als Angriff auf die Arbeitnehmerrechte zu werten sind. Wie wird es mit dem noch neuen Betriebsrat weiter gehen? Viele Fragezeichen.

Das große Thema Digitalisierung wird die Arbeitswelt rasant verändern. Wo sehen Sie da die Gewerkschaften?

Einfalt: Digitalisierung verändert unsere Lebens-, Arbeits- und Bildungswelten und wir können diese Veränderungen gestalten. Unternehmen, Politik und Arbeitnehmervertretung stehen hier in gemeinsamer Verantwortung, die Digitalisierung im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gestalten. Beschäftigte können als Innovationsmotoren wirken, wenn sie im Digitalisierungsprozess Mitsprache haben. Stichworte sind Arbeitsplatz, Arbeitsschutz, Weiterbildung. Zentraler Baustein einer gewerkschaftlichen Strategie muss die Bildungspolitik sein. Die digitale Transformation beispielsweise der Schulen kann nur durch lokale Initiativen gelingen und nicht verordnet werden. Den Schulen müssen vielmehr massiv verbesserte Rahmenbedingungen geboten werden, damit Eigeninitiative und eigene Projekte zu initiieren lohnenswert erscheint. Dafür brauchen sie eine sichere wie komfortable IT-Infrastruktur. Auch die Lehrpläne müssen entfrachtet und auf aktuellen Stand gebracht werden.

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