Sie sind komisch, Herr Doktor

Auf ungewöhnlichen Wegen ist Alfred Drees zur Psychiatrie gekommen. Ebenso ungewöhnlich sind seine Methoden, die er auch bei Folteropfern anwendet.

Krefeld. Wie begegnet man einem Psychiater zu einem Interviewtermin? Wird er Mimik, Gestik und Fragen insgeheim analysieren? Diese und andere Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich auf den Klingelknopf des schönen Bürgerhauses an der Friedrich-Ebert-Straße drücke. Gedanken, die mit der ersten Begegnung mit Alfred Drees gleich dahin sind. Mit einem strahlenden, offenen Lächeln empfängt er die Besucherin.

Unwiderstehlich offenherzig zeigt er sich auch im Gespräch, plaudert munter über seine Erfahrungen. Und die sind nun beileibe reichhaltig: Nicht nur, dass er eine eigene Behandlungsmethode - das Prismatisieren - erfunden hat, seine Lebensgeschichte ist dazu so bunt wie die Phantasien, die in seiner Praxis eine solch große Rolle spielen.

Doch gemach: Was heißt das eigentlich - Prismatisieren? "Das Ziel ist, Dinge zu öffnen, die der Patient nicht mehr zur Verfügung hat", schickt Drees voraus. Kein einfaches Unterfangen bei Menschen, deren Gedanken nur um die Depression oder nur um das traumatische Erlebnis kreisen. Gerade dieses Karussell versucht der Professor zu durchbrechen. Dazu verblüfft er sein Gegenüber meist mit einer ungewohnten Reaktion. "Ob Sie’s glauben oder nicht, Sie haben gerade eine fröhliche Stimmung bei mir hervorgerufen", kann er da schon mal seinem depressiven Patienten sagen. Oder einen Psychotiker nach Details seiner veränderten Weltwahrnehmung fragen, ohne diese zu deuten. "Sie sind aber komisch, Herr Doktor", habe einer darauf mal verwundert angemerkt.

Alfred Drees, Gedicht

Komisch oder nicht - dadurch, dass Drees sich auf eine Ebene mit dem Patienten begibt, schafft er Vertrauen, dadurch, dass er den Blick auf seine eigenen Reaktionen lenkt, womöglich noch mit Phantasien - von einer Wanderung über einen Hügel etwa - ausschmückt, öffnet er dem Patienten einen anderen Horizont. Und plötzlich können Erinnerungen an eine schöne Zeit, eigene Phantasien wach werden. "Das hat vor allem in einem Hospiz eine enorme lösende Funktion", so Drees über seine Erfahrungen, die er etwa durch sein 20-jähriges Engagement in der Hospizgruppe Lindau sammeln konnte. Sogar in seiner Arbeit mit Folteropfern wendet er diese Methodik an.

Auch wenn Drees, nachdem sich eine Rollstuhlfahrerin spontan zu einem Tanz mit ihm erhoben hatte, den Spitznamen "Lourdes" weg hatte, dementiert er lachend: "Ich bin nun wirklich keine Heilerpersönlichkeiten." Mitnichten: Denn der 76-Jährige gibt sich nicht nur bodenständig. Seine Kindheit verbrachte er im Arbeitermilieu in Westfalen, absolvierte eine Elektriker-Lehre, arbeitete in einem französischen Bergwerk und tippelte später durch den Schwarzwald. Sein Wunsch, das Abitur zu machen und zu studieren, keimte erst mit 29 Jahren. Da arbeitete er als Beleuchter - zuerst in einem kleinen Wandertheater, dann an der Frankfurter Oper. "Dort dauerte es zwei Jahre, bis ich kulturell wach wurde", gibt Drees offenherzig zu, dass seine Interessen vorher andere waren.

Was sich grundlegend geändert hat, wovon wohlgefüllte Bücherwände und Kunstdrucke künden. Doch die Natur hat es ihm besonders angetan, wie gesammelte Federn und Steine verraten. "Ich mache viele Fahrradtouren. Fahre täglich 50 bis 60 Kilometer." Ein Hobby, das seine Phantasie und somit gleich eine andere Leidenschaft anregt - die Poesie. Alles in allem ein positiver Mensch also, trotz der vielen schlimmen Geschichten, die er anhören muss. Was nicht heißen soll, dass er den Blick für das viele Negative in der Welt verloren hat. "Da steckt einfach drin, dass ich Akzeptanz für Mist habe."

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