Generalverdacht Sex-Vorwürfe gegen Zuwanderer haltlos

Seit der Silvesternacht stehen Flüchtlinge auch in Krefeld unter Generalverdacht. Zu Unrecht, wie Zahlen der Polizei beweisen.

Krefeld. Am 8. Juni vermeldet die Polizei, dass eine 56-jährige Frau von einem Mann (23) an der Kempener Straße sexuell belästigt wurde. Der Täter soll seinem Opfer im Vorbeigehen an die Brust und in den Schritt gefasst haben. Die Polizei konnte den Mann festnehmen. Er ist ein Zuwanderer. Die reflexartigen Reaktionen im Internet lassen nach Veröffentlichung einer solchen Meldung nicht lange auf sich warten. Hinter mehr oder weniger anonymen Profilen versteckt, werden Flüchtlinge von oftmals „besorgten Bürgern“ unter Generalverdacht gestellt.

Gerade nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht (siehe Kasten) ist die öffentliche Wahrnehmung in Bezug auf Zuwanderer und sexuelle Übergriffe eine andere geworden. Das Thema ist äußerst brisant.

Doch zumindest für Krefeld haben Polizei und Staatsanwaltschaft überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Zuwanderer in einem auffälligen Maße als Täter bei sexuellen Übergriffen in Erscheinung treten.

Oberstaatsanwalt Axel Stahl spricht von einem subjektiven Empfinden, das vielerorts seit den Ereignissen in Köln vorherrscht. Objektiv betrachtet gebe es aber in Krefeld keinen Anlass zu solchen Vermutungen. „Die Meinung, dass in den vergangenen Wochen vermehrt Zuwanderern sexuelle Übergriffe verübt haben, mag vorherrschen, sie trifft aber nicht zu. Fakt ist aber auch, dass sich die politische und gesellschaftliche Wahrnehmung nach den Vorfällen in Köln verändert hat“, versichert Stahl.

Die Statistik der Polizei belegt die These des Oberstaatsanwaltes. So lag die Anzahl der gesamten Sexualstraftaten in Krefeld in den ersten vier Monaten dieses Jahres mit 42 Delikten rund ein Drittel unter dem Vorjahreswert (62). Im gleichen Zeitraum stieg aber die Flüchtlingszahl von 1252 Personen auf 3618 (Unbegleitete minderjährige Asylsuchende nicht berücksichtigt) an. Diese Zahlen sprechen deutlich dagegen, dass solche Taten vermehrt von Zuwanderern verübt werden.

Doch warum kennzeichnen Polizei und Staatsanwaltschaft in ihren Pressemitteilungen mutmaßliche Täter dann überhaupt als Zuwanderer? „Um Aufklärung zu betreiben“, sagt Axel Stahl. „Die bewusste Entscheidung, diese Angaben zu machen, gibt es in Krefeld nicht erst seit vergangenem Dezember“, sagt er. Es werde immer in jedem Fall einzeln entschieden, ob die Angabe der Nationalität zur Verdeutlichung oder Klärung eines Sachverhalts beiträgt, erklärt Karin Kretzer.

„Es ist oft eine Gratwanderung“, sagt die Pressesprecherin der Polizei. Die Angabe dürfe nicht zur einer Stigmatisierung ethnischer Gruppen führen, soll aber beispielsweise trotzdem gewisse Auffälligkeiten verdeutlichen.

Was bedeutet das im Zusammenhang mit Zuwanderern in Krefeld? Auf Weisung des NRW-Innenministeriums macht die Polizei derzeit zwar keine Angaben dazu, wie viele der bis April verübten Sexualstraftaten von Zuwanderern begangen wurden, jedoch zeigt ein Blick auf die von der Polizei veröffentlichten Mitteilungen in diesem Jahr, dass in fünf Fällen Zuwanderer beschuldigt wurden, Sexualstrafdelikte begangen zu haben.

Zwei Fälle von Exhibitionismus, einen Fall von Belästigung und gefährlicher Körperverletzung sowie zwei Fälle von sexueller Belästigung durch Anfassen gab es. In allen Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. „Die Menschen erwartet generell die gleiche Strafverfolgung wie einen Inländer. Unter gewissen Umständen können sich aufenthaltsrechtliche Konsequenzen ergeben, nicht aber per se“, sagt Axel Stahl.

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