Schroers tauscht Bücher gegen Musik ein

Der langjährige Leiter der Mediothek geht am 31. August in Ruhestand.

Schroers tauscht Bücher gegen Musik ein
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Auf dem Handy von Helmut Schroers läuft eine App mit dem Countdown. Anstatt des traditionellen Maßbandes zählt diese digitale Zeituhr die Tage bis zum 31. August runter. An dem Tag geht der langjährige Leiter der Mediothek Krefeld in den Ruhestand. Fünf Jahre vor der regulären Altersgrenze.

25 Jahre lang war er zunächst als Stellvertreter, später dann als Chef der Bücherei tätig. Was in dieser Zeit für ihn ein absoluter Glücksfall war, was das Besondere an Büchern ist, was er seiner möglichen Nachfolgerin Evelyn Buchholtz und der Mediothek für die Zukunft wünscht und welche Pläne er hat, erzählt er im Interview mit der WZ.

Fällt Ihnen der berufliche Abschied schwer?

Helmut Schroers: Nein. Es ist mein freier Entschluss, und ich habe mich gedanklich schon zwei, drei Jahre damit beschäftigt. Ausschlaggebend im vergangenen Jahr waren gesundheitliche Gründe. Meine Frau ist auch schon seit einigen Jahren nicht mehr berufstätig. Statt mit 65 aufzuhören, ist jetzt Ende August mit 60 Jahren plus neun Monaten Schluss.

Haben Sie Pläne für die neue Lebensphase?

Schroers: Ja. Ein Tag in der Woche wird Enkeltag sein. Meine Tochter hat inzwischen einen vier Jahre alten Jungen und ein ein Jahre altes Mädchen. Sie wohnen ganz bei uns in der Nähe. Dann spiele ich in zwei Bands mit, dem Ensemble „Kölsch-Katholisch“ und der Rockband „X-Nights Only“. Ich singe und spiele Keyboard.

Das sind ja zwei sehr unterschiedliche Musikrichtungen.

Schroers (lacht): Ja. Für die Geburtstagsparty eines Freundes in der Rampe hatte ich ein paar mir bekannte Musiker unter dem Band-Namen „One Night Only“ zusammengetrommelt. Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir zusammengeblieben sind und aus One Night X-Nights geworden sind. Musikalische Anleihen von Status Quo, ZZ Top, Allmann Brothers, Rory Gallagher und Jethro Tull fließen in unsere Musik ein. Inzwischen spielen wir regelmäßig in kleinen Clubs. Musik spielt eine ganz große Rolle für mich. Und demnächst kommt dann an einem Tag der Woche nachmittags auch noch ein musikalisches „Alt-Herren-Kränzchen“ mit Gitarrenspiel und Gesang hinzu.

Was waren besondere Stationen Ihres Berufslebens?

Schroers: Die Eröffnung der Mediothek am 1. April 2008. Die Planung und der Bau von so einer Einrichtung wie auch der Betrieb sind ein absoluter Glücksfall in dem Berufsfeld. Bevor ich 1991 nach Krefeld gekommen bin, hatte ich mich in Mönchengladbach auf die Stelle des Büchereileiters beworben — und eine Absage erhalten. Aus heutiger Sicht war das ein absoluter Glücksfall. So konnte ich hier später als Leiter zusammen mit den Kollegen einen Neubau planen. Auch wenn das viel Kraft gefordert hat. Wir hatten die einmalige Gelegenheit, ab der Eröffnung richtig loslegen zu können.

Womit?

Schroers: Mit speziellen Lese-Angeboten für Kinder, größeren Veranstaltungen in unseren Räumen und zusätzlichen Möglichkeiten für Schüler und Studenten. Seit etwa zwei Jahren nimmt auch die Zahl der Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund zu, die in unseren Räumen gezielt Deutsch lernen.

Können Sie das vielfältige Angebot aus dem Etat der Mediothek realisieren?

Schroers: Das geht nur mit Hilfe von Unterstützung. Zum Beispiel durch die Bürgerstiftung oder die Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld. Das ist die Förderung schlechthin. Fünf Jahre lang, bis Ende dieses Jahres, haben wir für die „Lesetreppe“ jährlich 50 000 Euro erhalten. Ein Krefelder Autohaus hat uns für fünf Jahre ein Auto zur Verfügung gestellt, mit dem die Mitarbeiter mit den Büchern zu den Kindertagesstätten fahren können. Zahlreiche weitere Krefelder Firmen unterstützen uns finanziell oder materiell. Wir arbeiten seit der Eröffnung der Mediothek systematisch daran, Sponsoren zu finden.

Was ist die „Lesetreppe“?

Schroers: Mit diesem Projekt wollen wir die Leseförderung von Kindern und Jugendlichen systematisch verbessern. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass im Alter von drei bis vier Jahren bei Kindern die spätere Freude am Lesen und an Büchern gelegt wird. Deshalb schenken wir beispielsweise auch jedem Erstklässler ein Buch und einen Leseausweis, der für ein paar Monate kostenlos ist. Auch das finanzieren wir über Sponsoren.

Welches Buch ist ihr Lieblingsbuch?

Schroers (überlegt keine Sekunde): „Komet im Mumintal“ von Tove Jansson. Ein Buch aus meiner Kindheit. Mumin und Schnüfferl sind zwei knollenkartoffelige Wesen, die sehr klein sind, aber ein unheimlich großes Herz haben, mitfühlend und mutig sind — und gemeinsam Abenteuer bestehen.

Haben Büchereien eine Zukunft?

Schroers: Bibliotheken sind die Keimzelle der Demokratie! Die Menschen darin dürfen verschiedener Meinung sein und sich unabhängig von anderen darüber informieren, was sie interessiert. Alarmierend ist deshalb, was gerade in der Türkei abläuft. In einer sogenannten Säuberungswelle werden dort aus den Regalen aller Büchereien die Werke von 30 Verlagen genommen. Das hatten wir in Deutschland auch schon einmal in den 1930er-Jahren. Umso mehr freut es mich, dass wir mit der Mediothek weg von einer Ausleihstelle und hin zu einer Begegnungsstelle geworden sind.

Trägt dazu unter anderem auch der Theaterball bei?

Schroers: Ja. Michael Grosse als neuer Intendant hatte mich angesprochen und gefragt, ob wir ihn gemeinsam im Theater und der Mediothek veranstalten könnten. Er wollte raus aus dem Seidenweberhaus. Das Theater allein bot aber zu wenig Platz. Das Mediothek-Team war Feuer und Flamme, als ich den Vorschlag vortrug. Von Anfang an war der gemeinsame Theaterball eine tolle Sache.

Sind Leute in Frack und Abendkleid in einer Bücherei nicht eher skurril?

Schroers: Nein, es ist ein Ort der kulturellen Begegnung. Mit den verschiedenen Angeboten bilden wir als Mediothek das Spektrum der verschiedenen Gesellschaftsgruppen in Krefeld ab. Angefangen von den Menschen, die tagsüber nicht wissen, wo sie anderswo hingehen können, bis hin zu den Menschen in Abendkleidung. Wir pflegen die hohe Literatur mit dem Literarischen Sommer und bieten gleichzeitig auch Poetry Slams an — wir sind eben in unseren Angeboten breitgefächert.

Heißt das, dass die Mediothek von den Krefeldern gut angenommen wird?

Schroers: Nach der Eröffnung und solange wir mit einem Erwerbsetat für neue Medien von jährlich 300 000 Euro ausgestattet waren, ja. Als der Etat aber gekürzt wurde auf unter 200 000 Euro, haben wir das an den sinkenden Besucherzahlen deutlich gespürt.

Welche Summe ist denn aus Ihrer Sicht notwendig?

Schroers: Wir haben insgesamt 200 000 Ausleih-Medien hier im Haus. Die Fachwelt ist sich einig, dass zehn Prozent davon im Jahr ersetzt werden müssen. Wir reden bei unserer Größe von über 20 000 Einheiten, à 15 Euro pro Medium. Um den Status Quo zu halten, bräuchten wir einen jährlichen Ankaufsetat von 350 000 Euro. Aktuell kriegen wir im Jahr nur 220 000 Euro. Wir können die tollsten Events veranstalten, wenn nicht genügend neue Medien im Regal stehen, nützt das alles nichts. Dann gehen die Besucherzahlen beziehungsweise die Eintrittsgelder zurück, und der Zuschussbedarf steigt im Gegenzug.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Schroers: Dass meine Nachfolgerin einen höheren Ankaufsetat bekommt und ich persönlich noch viele Jahre mit meiner Frau habe, um die Welt zu erkunden. Vielleicht mal eine mehrwöchige Reise nach Indonesien, hauptsächlich aber Fahrradtouren in Deutschland und den Niederlanden.

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