Woyzeck: Ein Weg in den Wahnsinn

Matthias Gehrts „Woyzeck“ beginnt mit dem Schluss, der von Anfang an unvermeidbar ist. Viel Raum für die Hauptdarsteller.

Krefeld. Beiläufig betreten Woyzeck und Marie die Bühne, das Raunen im Saal verstummt. Minutenlang blickt das Paar schweigend ins Publikum, bis Woyzeck sein Messer zückt und auf Marie einsticht, roh und brutal, wie von Sinnen. Während die Bühne sich absenkt, hallt ihr Schreien lange nach.

Matthias Gehrts "Woyzeck" im Stadttheater beginnt mit dem Schluss, der von Anfang an unvermeidbar ist. Der gehetzte, getretene, gedemütigte Mensch schlägt zurück, weil er es nicht mehr aushält und weil jeder tief drinnen ein Abgrund ist, wie Georg Büchner schon mit 23 Jahren erkannt hatte.

Dem starken Auftakt folgt der schwierige Part: den Weg in den Wahnsinn nachzuzeichnen, die Tropfen ins übervolle Fass sichtbar zu machen. Das gelingt der Regie nur bedingt, weil sie Büchner in ein Schema presst. Nach jeder Szene muss Woyzeck zurück auf die riesige Drehscheibe in der Bühnenmitte, ein treibender Beat hetzt ihn durch die Welt.

Das ist ein wenig eindimensional und auf die Dauer ziemlich gleichförmig. Mehr Glück hat Gehrt mit den Schauspielern, vor allem mit dem Hauptdarsteller. Paul Steinbach ist ein schrecklich glaubwürdiger Woyzeck, schwitzend, leichenblass und fahrig, wie in einen unsichtbaren Schraubstock gespannt.

Vor allem gegen Ende, wenn der Entschluss zum Mord gefasst ist, wird sein Blick beängstigend. Genau diesen Abgrund muss Büchner gemeint haben. Viel Raum hat auch Marie - und Helen Wendt in ihrer ersten großen Rolle nutzt ihn für das Porträt einer jungen Frau, die in Träumen hoch fliegt und dabei doch nur auf einer klapprigen Hollywood-Schaukel sitzt.

Auch die anderen Darsteller machen viel aus ihren Auftritten, allen voran Eva Spott, die das grausame Märchen der Großmutter mit entsetzlicher Kälte vorträgt. Solche Momente sind es, die nach einem zwiespältigen Abend in Erinnerung bleiben.

In konsequenten Szenen über die Arroganz der Mächtigen, im verschwindenden Sternenhimmel hinter Gabriele Trinczeks reduziertem Bühnenbild, im mutigen Entschluss, Woyzecks ganze Verzweiflung mit einem Schlager von Michael Wendler bitter zu kommentieren, deutet sich das Potenzial dieser Inszenierung an.

Sich an ein großes Ganzes zu erinnern, fällt jedoch schwer: Woyzeck läuft und läuft und läuft - aber er will einfach nicht ankommen.

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