Wie Casanova lebendig wird

Ballett: Robert Norths neue Produktion sorgt für große Begeisterung.

Krefeld. Wie ein Leben doch vorbeiziehen kann, sich reduzieren lässt auf gerade mal zwei Stunden. In den Biopics, die zuletzt so populär geworden sind, übt sich Hollywood in dieser seltsamen Kunst, und selten kommt es dabei auf die Filmlänge an. Die Momente sind es, die ein Leben charakterisieren, den Menschen formen, uns mitfühlen und mitfiebern lassen.

Robert North hat das verstanden. In seiner neuen Produktion, die am Samstag ihre Krefelder Uraufführung erlebte, trägt uns der Choreograf - mal sanft, mal wie ein Wirbelwind - durch das Leben Casanovas. 33 Skizzen reiht er aneinander wie Schnappschüsse in einem Fotoalbum, und danach ist dieser getanzte Casanova irgendwie lebendig geworden, ohne dass er auch nur ein Wort gesprochen hätte.

Als Titelheld überlässt Emmerich Schmollgruber das Reden seinem Körper: Mit der lässigen Arroganz der Jugend stolziert er anfangs über die Bühne, erlebt gierig und neugierig das erste Liebesglück mit zwei venezianischen Frauen. Es ist das einzige Mal im Stück, das North explizit sexuelle Bewegungen in seine Choreografie einfließen lässt, danach genügt ihm die Andeutung. Sein Casanova ist ein Meister des Flirts und der Verführung. Sein Erfolg bei Frauen hat einen simplen Grund: Er behandelt sie wie Königinnen.

Doch Schmollgruber gibt Casanova weitaus mehr Facetten als den selbstsicheren Charmeur und Herzensbrecher. Er lässt das Publikum immer wieder in die Seele des Mannes blicken, der viel eindimensionaler in Erinnerung ist, als er es wohl verdient hätte. Seine Flucht aus den Bleikammern Venedigs, bei der die anderen Tänzer virtuos eine Art lebendiges Bühnenbild abgeben, seine Depression, die er, mehr sehnsüchtig als wollüstig, in einem Freudenhaus kuriert, oder sein melancholisches Zurücksinnen als alter Mann: Casanova kommt uns wahrhaft nahe, und es ist gut möglich, dass wir ihn gemocht hätten, nicht nur die Frauen.

Durch die emotionale Kraft dieses Ballettabends könnte man leicht die logistische Leistung vergessen: Die Reise durch ein ganzes Leben und aller Herren Länder gelingt dank des tollen Bühnenbilds von Luisa Spinatelli, die auch die prachtvollen Kostüme gestaltet hat. Es beruht auf dem klugen Einsatz durchsichtiger Vorhänge, die geschützte Räume schaffen, dann wieder voyeuristische Blicke ermöglichen oder durch schnelle Bewegung fast zu lebendigen Wesen werden. Sie sorgen dafür, dass die Dynamik nie verloren geht und 33 Szenen eine homogene Einheit bilden.

In diese Demonstration handwerklicher Präzision reihen sich die Sinfoniker ein, die unter Leitung von Andreas Fellner all die Stimmungswechsel perfekt meistern. Für alle Beteiligten gibt es langen, begeisterten Applaus.

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