"Norway.today" Theater: Ein bedrückender Blick in den Abgrund

Sascha Mey liefert mit seiner Inszenierung „Norway.today“ in der Fabrik Heeder einen überragenden Einstieg als Regisseur.

"Norway.today": Theater: Ein bedrückender Blick in den Abgrund
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Zwei begegnen sich in einem Chatroom und hegen dieselbe Idee: Selbstmord. Das Stadttheater hat das Stück „Norway.today“ von Igor Bauersima am Donnerstag in der Fabrik Heeder als Premiere auf die Bühne gebracht. Der Inhalt ist beklemmend — die Inszenierung von Regisseur Sascha Mey überragend. Es ist sein erstes Stück, das er am Stadttheater umsetzt.

Der Stoff beruht auf einer wahren Begebenheit, die Bauersima einem Zeitungsartikel entnommen hat, der vom gemeinsamen Selbstmord zweier Jugendlicher berichtet. Sie hatten sich im Internet dazu verabredet. Und so beginnt auch das Stück auf der Studiobühne in Krefeld.

Hinter einem Vorhang sind zwei junge Menschen zu sehen, die miteinander chatten. Die beiden jungen Menschen in „Norway.today“ heißen Julie (Helen Wendt) und August (Jonathan Hutter). Sie verabreden sich zum Selbstmord und reisen an einen norwegischen Fjord. Dort leben sie noch einen Tag und eine Nacht. So intensiv wie nie zuvor. Aus einer Idee erwachsen Gefühle und Gemeinsamkeit.

Die Form der digitalen Kommunikation wird als Schattentheater gezeigt. Diese bildhafte Verbindung zur Romantik verweist auch auf Goethes berühmten Selbstmörder Werther. Das „Ich passe nicht in diese Welt“ ist fast ein Zitat des Heinrich von Kleist, der sich 1822 mit einer Gefährtin umbrachte.

Dass Julie und August am Abgrund stehen, zeigt auch das Baugerüst, auf dem sie Musik hören, reden, balancieren, lachen, weinen, philosophieren. Mithilfe von Stoffen und Kisten verwandelt es sich in die gewünschte Kulisse.

In ihren dynamischen Bewegungen zeigen beide Schauspieler eine Momentaufnahme ihres jugendlichen Lebensgefühls, das gerade jetzt ins Positive gewendet wird. Auch Komisches steckt in diesem Stück; manchmal lacht der Zuschauer über die Naivität der jungen Menschen, manchmal über das Absurde.

Wenn zum Beispiel Julie an der 600 Meter hohen Kante abzurutschen droht und die beiden sich anschreien. Oder wenn August ihr vorwirft: „Bist Du verrückt?“, weil sie sagt: „Ich will sehen, wie einer stirbt.“ Denn das ist ja schließlich die Anfangsidee bei dieser Begegnung. Beide haben auch ihre Mobiltelefone und Kameras dabei — Abschied auch für die Hinterbleibenden oder auch Hoffnungsschimmer.

Nach einer gemeinsamen Nacht haben Julie und August sich umgekleidet. Er trägt schwarzen Anzug, sie ein silbernes Kleid. Hochzeitskleid oder Totenhemd?

Bei einer Abschiedsumarmung weint Helen Wendt eine wahre Träne. Ihrer Mimik sind all ihr Denken und Fühlen abzulesen: Das Kammerspiel liegt ihr außerordentlich gut. Jonathan Hutter zeigt enorme Präsenz und überzeugt als junger Mann, der zum Tode verführt wird. Ob die beiden sich wirklich in die eisige Hölle stürzen, bleibt offen. Man muss es leider befürchten.

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