Rieger-Orgel in der Friedenskirche: Musik durch Mark und Bein

Laut und bombastisch klingt die Rieger-Orgel in der Friedenskirche. Das zweitgrößte Instrument am Niederrhein hat eine absonderliche Entstehungsgeschichte.

Rieger-Orgel in der Friedenskirche: Musik durch Mark und Bein
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Dieser Klang geht durch Mark und Bein. Wie gut, dass der Organist Hans-Jörg Böckeler vor seinem Spiel schon einmal gewarnt hat. Ein riesiges wie lautstarkes Fanfarencorps scheint die Ankunft eines Kaisers oder Königs anzukündigen. „Trompeta imperiale 16’“ und „Trompeta da batalla 8’“ heißen die Eindruck machenden Register im Spanischen Bombardwerk der Rieger-Orgel.

Rieger-Orgel in der Friedenskirche: Musik durch Mark und Bein
Foto: Bischof, Andreas (abi)

Nicht nur durch ihren herrschaftlichen Klang fallen diese Orgelpfeifen auf, auch ihre Position ist bemerkenswert: Im rechten Winkel ragen sie aus dem Orgelgehäuse, als wollten sie ihre Töne gleich in den Kirchenraum „schießen“. Für Böckeler bietet „sein“ Instrument die „sonderlichste“ Entstehungsgeschichte einer Orgel. „Der damalige Chef der Firma Rieger, der Orgelpapst Josef von Glatter-Götz, hat letztendlich eine ganz andere Orgel gebaut als bestellt worden war.“

Laut Böckeler gab es regelrechte Kämpfe zwischen Reinhold Birk, dem Organisten der Friedenskirche, und Glatter-Götz: „Aber die Orgel ist dann doch abgenommen worden“. Die Auseinandersetzungen um den „richtigen“ Klang zogen weite Kreise, das Gerangel um die Disposition dauerte gut sechs Jahre von 1954 bis 1960.

Zu den Fachleuten, die an der Diskussion über die zu bauende Orgel beteiligt waren, gehörten unter anderem der Thomaskantor Prof. Günther Ramin (Leipzig), der Präsident der Gesellschaft der Orgelfreunde, Dr. Walter Supper (Esslingen), der Landeskirchenmusikdirektor Prof. Friedrich Hoegner (München) und Prof. Albert Schweizer im fernen Gabun, wo der Theologe, Organist, Arzt und Friedensnobelpreisträger sein Urwaldkrankenhaus führte.

Den Knackpunkt in der damaligen Diskussion schildert der heutige Organist: „Die Schärfe der Intonation sollte den Leuten die Tränen in die Augen treiben. In allen katholischen Kirchen standen solche scharfen Instrumente. Schließlich setzte sich die Meinung Schweitzers durch, dass die Klänge einer Orgel Tränen trocknen sollten.“

Am 26. Juni 1960 wurde schließlich die Rieger-Orgel in der Friedenskirche eingeweiht. Mit ihren 66 klingenden Registern ist sie — nach der Marienbasilika in Kevelaer — die zweitgrößte Orgel am Niederrhein. Ihr Gehäuse erreicht eine Höhe von etwa acht Metern. Sie besitzt vier Manuale.

2008 und 2009 fand eine Umstellung auf elektronische Setzerkombinationen statt, das heißt: Per Kopfdruck kann der Organist während seines Vortrags große Veränderungen vornehmen. Er kann aus einem Fundus von 200 bis 250 Kombinationen sein Spiel registrieren und interpretieren — ohne dass ihm noch ein Registrant zur Seite stehen und springen muss.

Auch ein Lauter und Leiser, das die Orgel im Unterschied zum Klavier nicht durch den Tastendruck hervorbringen kann, ist durch die Elektronik möglich. Die nahezu unbegrenzten Variationen der Rieger-Orgel schätzt Hans-Jörg Böckeler: „Die Rieger-Orgel inspiriert mich von allen Orgeln, die ich kenne, am meisten zum Improvisieren.“

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