Pretty Land: Auf den Spuren der Erinnerung

Künstlerin Luo Mingjun erforscht ihre eigene Vergangenheit.

Krefeld. Erinnerungen sind listig und trügerisch. Sie pfeifen auf Präzision und Akkuratesse, geben nur Fragmente von sich frei, und kaum bekommt man sie zu fassen, verschwinden sie wieder im Nebel des Vergessens. Für diese flüchtige Unnahbarkeit hat Luo Mingjun den perfekten künstlerischen Ausdruck gefunden. "Sich noch erinnern können" heißt ihre herausragende Ausstellung in der Galerie Pretty Land.

Das "noch" scheint entscheidend zu sein, denn die Bilder erinnern an ausgebleichte Schwarz-Weiß-Fotografien, einst eingefangene Augenblicke, die nun kurz vor der Vernichtung stehen. Nähert man sich den großformatigen Werken zu sehr an, lösen sich die Strukturen in sinnlose Pinselstriche auf, doch der Blick von weit weg offenbart ungeahnte Details: Gesichter gewinnen Kontur, ein Wald oder eine Straße sind zu erahnen. Erinnerung wird lebendig, behutsam und blass, wie ein Hauch.

Dieser Effekt dürfte dem Gefühl der Künstlerin nachempfunden sein: Sie hat alte Fotos aus ihrer Kindheit und Jugend in China mit Bleistift auf Papier oder mit Acryl- und Ölfarbe auf Leinen übertragen. "Die Vergangenheit kommt nicht zurück, sie bleicht aus", sagt Luo Mingjun. "Aber mit jedem Pinselstrich kommt ein Stück Erinnerung wieder."

Für die Künstlerin, 1963 in China geboren, aber seit 1987 in der Schweiz ansässig, ist diese Erfahrung essenziell. Ihr Lebensweg wirft immer wieder aufs Neue die Frage nach der Identität auf, und die Lösung des verzwickten Rätsels sucht sie in ihrer Kunst. "Immer, wenn ich denke, ich habe die Frage beantwortet, taucht sie neu auf", sagt Luo Mingjun.

Dass ihre Bilder dennoch keine ermüdende Selbstreflektion sind, liegt an der Beiläufigkeit der Motive und an der malerischen Virtuosität. Wie die 46-Jährige mit sanften Bleistiftschatten und einem Hauch weißer Farbe auf dunklem Leinen ganze Augenblicke lebendig werden lässt, das hat eine atemberaubende Präzision, die - welch ein Kunstgriff - dennoch flüchtig wirkt wie Erinnerungen im Kopf des Betrachters.

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