Architekturtage Mehr Mies - Fabrikbau im Zeichen der Moderne

Die Historikerin Ingrid Ostermann hält Vortrag bei den Architekturtagen „Mehr Mies“.

Architekturtage: Mehr Mies - Fabrikbau im Zeichen der Moderne
Foto: abi

Krefeld. Die Architekturhistorikerin Ingrid Ostermann hat bei den Krefelder Architekturtagen „Mehr Mies“ den einzigen Industriebau von Ludwig Mies van der Rohe (1886 bis 1969) in einen deutsch-niederländischen Kontext gestellt.

Unternehmen und Fabrikbesitzer in beiden Ländern förderten die Architekturmoderne und traten in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren so in eine vielfältige Wechselwirkung innerhalb dieser Avantgardebewegung. Licht, Luft und Hygiene sind Schlagworte jener Zeit für das industrielle Schaffen verschiedener Vertreter des neuen Bauens, die eine Verbesserung der Bedingungen am Arbeitsplatz in ihren Gebäuden realisierten. Dazu gehört auch der Bau des Färberei- und Herrenfutterstoff-Gebäudes für die Verseidag in Krefeld durch Mies van der Rohe, wie Ostermann in ihrem Vortrag „Fabrikbau im Zeichen der Moderne — ausgewählte Bauten von Zeitgenossen Mies van der Rohes“ ausführte.

Die Zweckmäßigkeit und Ästhetik des neuen Bauens war ein Aspekt, das Marketing ein anderer: Ostermann dokumentierte vor allem mit Briefköpfen, auf denen die neuen Fabrikgebäude mit ihren klaren und funktionalen Formen zu sehen sind, welche Wertschätzung und Außendarstellung man mit den Werken verband. Ein wichtiges Vorbild für diese neue Art des Industriebaus ist das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld. Es gilt als Ursprungsbau der Moderne und wurde bereits 1911 vom Bauhausgründer Walter Gropius und von Adolf Meyer entworfen. Geradezu idealtypisch verwirklichten sie die Umsetzung durch die Verwendung von Stahl und Glas in dem Bauwerk.

Der Komplex zählt heute ebenso zum Unesco-Welterbe wie die Van-Nelle-Fabrik (1927 bis 1930) in Rotterdam. Auch dieses Objekt wurde vom Bau des Fagus-Werks beeinflusst. Die Rotterdamer Fabrik eines Kaffee-, Tee- und Tabakproduzenten wird heute von zahlreichen kreativen Kleinfirmen genutzt. Ein solcher Schutz und Fortbestand blieb dem Milchhof in Nürnberg (1929/1930) verwehrt. Der von Otto Ernst Schweizer (1890 bis 1965) entworfene Bau wurde als Stahl-Skelettbau umgesetzt. Seine Transparenz ließ viel Licht in die Hallen und zu den Arbeitsplätzen gelangen. Der einst größte Milchhof in Europa wurde 2008 bis auf das Verwaltungsgebäude abgerissen.

In nächster „Nachbarschaft“ zum HE-Gebäude in Krefeld steht ein heute noch existierendes Beispiel des modernen Bauens in Krefelds niederländischer Partnerstadt Venlo. Dort baute Hans Schlag (1890 bis 1970) das Nedinsco-Werk (1928 bis 1930). Dabei handelte es sich um einen Ableger des Unternehmens Carl-Zeiss-Jena. Das Fabrikgebäude in den Niederlanden ließ die Firma nach dem Ersten Weltkrieg errichten, weil in der Weimarer Republik keine Waffen produziert werden durften. Dazu zählte man auch Periskope. Rund um eine alte Schokoladenfabrik entwarf Schlag ein modernes Gebäude mit einem Turm. Diesen nutzte das Unternehmen, um darin die Periskope zu justieren. „Sie peilten dafür die Kirchtürme in der Umgebung an“, sagte Ostermann. Trotz schwerer Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex wiederaufgebaut und wird heute unter anderem von der Stadtverwaltung genutzt.

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